Lucio Urtubia: Baustelle Revolution- Erinnerungen eines Maurers – Film online
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Lucio Urtubia: Baustelle Revolution- Erinnerungen eines Anarchisten
Aus dem Spanischen von Alix Arnold und Gabriele Schwab
ISBN 978-3-935936-84-2 | 256 Seiten | erschienen September 2010 | 19.80 € / 33.50 sF
Sozialrebell, Geldfälscher, Bandit, moderner Robin Hood – die Liste der Titel, mit denen Lucio Urtubia beehrt wurde, ist lang. Sein Leben, das wie ein Abenteuerroman klingt, ist ein Spiegel der revolutionären Bewegungen Europas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Lucio Urtubia wird 1931 in einem kleinen Dorf in Navarra geboren und wächst unter ärmlichen Verhältnissen auf. Als er zum Militär eingezogen wird, desertiert er wenig später nach Frankreich, wo er fortan als Maurer arbeitet. Er bekommt Kontakt zu anarchistischen Gruppen und lernt seinen politischen Ziehvater kennen: den legendären Sabaté, der von Frankreich aus den bewaffneten Widerstand gegen die Franco-Diktatur organisiert. Fälschen von Dokumenten, Verstecken von Untergrundkämpfern und illegale Geldbeschaffungsaktionen spielen fortan in seinem Leben eine erhebliche Rolle. Zahlreiche Widerstandsorganisationen, die in Frankreich eine Operationsbasis haben oder einen Rückzugsraum suchen, profitieren von seinen Fertigkeiten: Black Panthers, Tupamaros, europäische Guerillas. Jedem Akt der Revolte, der auf eine gerechtere Gesellschaftsordnung zielt, gilt Lucios Solidarität.
1962 schlägt er dem damaligen Leiter der Nationalbank Kubas, Che Guevara, vor, den Weltmarkt mit gefälschten Dollarnoten zu überschwemmen, um die US-amerikanische Wirtschaft zu destabilisieren. Der Vorschlag stößt auf kubanischer Seite auf wenig Gegenliebe, doch der Gedanke bleibt in Lucio lebendig. 1980 gelingt ihm sein größter Coup: Durch den Druck von Travellerschecks der Citibank im Wert von mehreren Millionen Dollar zwingt er die damals mächtigste Bank der Welt in die Knie.
Die Liste seiner Aktivitäten ist damit nicht erschöpft. Doch Lucio ist auch ein Meister der Konspiration, dem in seinem nicht gerade gesetzestreuen Leben das Kunststück gelingt, nur ein paar Monate im Gefängnis zu verbringen. Erst mit weit über 70 Jahren bricht er das Schweigen. Ein Buch über ihn erscheint, ein Film wird gedreht. Nun hat Lucio Urtubia seine Autobiografie vorgelegt. Es ist uns eine Freude, sie in deutscher Sprache veröffentlichen zu können.
Siehe auch die Verlagshomepage von Assoziation A
aus Brasilien - Acht Jahre Lula / ila 339
Fälscher für die internationale Revolte
Die unglaubliche Geschichte des Lucio
Urtubia,
Maurer aus Navarra
von Alix Arnold
Er war aktiv im militanten Widerstand gegen die Franco-Diktatur und hat Banken überfallen. Er hat Che Guevara getroffen und den Mai 1968 in Paris erlebt. Die revolutionären Bewegungen der 70er Jahre in Europa und den Amerikas konnten auf ihn zählen: Travellerschecks und Ausweispapiere aus Lucios Fälscherwerkstätten gingen um die Welt. Ungewollt sponsorte die Citibank den Widerstand mit Millionen.
Seine
erste Reise nach Lateinamerika macht Lucio 2008. Er fährt nach
Argentinien, Uruguay und Brasilien, um den Dokumentarfilm1
vorzustellen, der im Vorjahr über ihn erschienen ist. Bei der
Veranstaltung in einer anarchistischen Druckerei in La Teja, einem
Arbeiterstadtteil von Montevideo, meldet sich ein älterer Mann zu Wort:
„Lucio, du kennst mich nicht, aber ich möchte mich bei dir bedanken für
alles, was ihr für uns getan habt, für die Tupamaros, für uns
Anarchisten, für alle.“ Sein Sohn ist ebenfalls zur Veranstaltung
gekommen. Als Kind hatte er eines Tages seinen Teddybär aufgeschnitten
und darin eine große Menge Dollars gefunden. Das gab Ärger mit seinem
Vater, der dort das Geld, das er mit gefälschten Citibank-Schecks
abgehoben hatte, für die Bewegung bunkerte. „Ich erinnere mich noch gut
an diese Geschichte. All die Jahre habe ich davon geträumt, dich
kennenzulernen.“
Solche Erlebnisse hat Lucio immer
wieder, seit er öffentlich über seine Abenteuer spricht. Unzählige
Menschen griffen damals auf das Geld und die falschen Papiere aus Paris
zurück, aber nur wenige kannten den unauffälligen Anarchisten, der im
Zentrum dieser Infrastruktur stand. Sein größter Coup ging zu Lasten
der Citibank, einer der weltweit größten Banken. Lucio und seine
Freunde druckten Ende der 70er Jahre zentnerweise deren
Travellerschecks nach. Die Fälschungen waren so gut gemacht, dass sie
in den Filialen nicht erkannt werden konnten. Überall auf der Welt
lösten GenossInnen die Schecks ein. Die Citibank spricht von einem
Betrug in Höhe von mehr als 15 Millionen US-Dollar.
Für Lucio war immer klar, dass dieses Geld „für die Sache“ bestimmt war
und nicht für private Zwecke. Seinen Lebensunterhalt als Arbeiter zu
verdienen war ihm wichtig. Bis zu seinem 72. Lebensjahr arbeitete er
als Maurer und Fliesenleger auf dem Bau, zunächst für verschiedene
Unternehmen und später – nach dem gescheiterten Versuch, mit einigen
Compañeros eine Kooperative aufzubauen – in seinem eigenen Betrieb.
Währenddessen genoss er es, mit vollen Händen geben zu können und den
Bewegungen stapelweise gefälschte Papiere und Geld zukommen zu lassen.
Tupamaros und Anarchisten aus Uruguay, Montoneros aus Argentinien,
Gewerkschafter aus Bolivien, Befreiungskämpfer aus Mittelamerika,
Deserteure des Vietnamkrieges, Black Panther, Militante aus bewaffneten
Gruppen in Europa… im Pariser Exil trafen sich Revolutionäre aus aller
Welt. Mit diesen Kontakten wurde ein Netz der Solidarität geknüpft. Wer
alles letzten Endes mit dem Geld der Citibank und den falschen Papieren
unterstützt wurde, kann Lucio bis heute nicht sagen. Er war und ist mit
vielen bewaffneten Aktionen der betreffenden Gruppen und Organisationen
nicht einverstanden. Aber er war immer bereit, verfolgte Compañeros,
die für ihre Ideale kämpften, praktisch zu unterstützen. Wenn ein
befreundeter Compañero mit einem Hilfeersuchen für andere an ihn
herantrat, fragte er nicht weiter nach, sondern machte sich an die
Arbeit.
Lucio ist selbst Migrant. Er wurde 1931 in einem kleinen Dorf in
Navarra, im spanischen Baskenland geboren. Seine Kindheit war geprägt
von extremer Armut und dem Terror der Franquisten. Schon früh musste er
arbeiten. Ende der vierziger Jahre stieg er mit seinem Bruder ins
Schmuggelgeschäft ein. Immer wieder überquerten sie die Pyrenäen und
brachten Waren über die spanisch-französische Grenze. Kurz danach wurde
er zum Militärdienst eingezogen. Dort ermöglichte ein Posten im Lager
den Ausbau der Geschäfte. Gemeinsam mit anderen schaffte er tonnenweise
Material aus der Kaserne. Als diese Aktivitäten entdeckt wurden,
desertierte er 1954 nach Frankreich. In Paris fand er Arbeit auf dem
Bau, wo er andere Flüchtlinge aus Spanien kennen lernte. Er freundete
sich mit anarchistischen Kollegen aus Katalonien an, die ihm libertäre
Ideen näherbrachten. Sie führten ihn ins Zentrum der CNT ein, wo sich
Arbeiter und Intellektuelle zu Vorträgen und Diskussionen trafen. Für
Lucio erschloss sich eine neue Welt.
1957 lernte er Francisco „Quico“ Sabaté kennen – eine der
entscheidenden Begegnungen in seinem Leben. Quico war damals einer der
meistgesuchten Anarchisten in Spanien. Er hatte im Bürgerkrieg gekämpft
und 1939 nach Frankreich fliehen müssen. Aber er reiste immer wieder
nach Spanien ein, um sich an bewaffneten Sabotageaktionen zu
beteiligen. Er überfiel Banken, um den Widerstand gegen Franco zu
finanzieren, und transportierte in Frankreich gedrucktes
Propagandamaterial über die Grenze nach Spanien. Als er einen
Unterschlupf in Paris brauchte, brachten ihn anarchistische Compañeros
zu Lucio. Zwischen den beiden entwickelte sich eine enge Freundschaft.
Um einer drohenden Auslieferung nach Spanien zu entgehen, beschloss
Quico, sich den französischen Behörden zu stellen und eine Haftstrafe
in Frankreich abzusitzen. Vorher übergab er Lucio sein Waffenarsenal.
Damit begann Lucios Geschichte als Enteigner der Banken. Mit Quicos
Maschinenpistole und einem Kumpel, der genauso wenig Erfahrung in
diesem Metier hatte, überfiel er Sparkassen in Paris, planlos und
unmaskiert, doch sie hatten Glück. Sie wurden nicht geschnappt und
brachten bis zu Quicos Entlassung aus dem Knast eine ordentliche Summe
zusammen, die dann den Gefangenen des Franco-Regimes in Spanien zugute
kam. Aber die Methode gefiel Lucio nicht. Ihn quälte die Vorstellung,
dass eine Bankangestellte oder er selbst bei einer solchen Enteignung
mit Waffengewalt sterben könnte – und das nur wegen Geld. So
entwickelte er mit befreundeten anarchistischen Druckern bessere Ideen.
Sie nutzten bestehende Druckereien, um dort in klandestinen
Nachtschichten besondere Produkte herzustellen: Ausweise verschiedener
Länder für die vielen Flüchtlinge, Lohnschecks spanischer Banken und
schließlich die Travellerschecks der Citibank.
Auch die Fälschung von Dollarnoten war Anfang der 60er Jahre bereits
vorbereitet. Lucio war damals ein großer Bewunderer der cubanischen
Revolution und überlegte, wie er die Compañeros gegen das Imperium
unterstützen könnte. Wäre es nicht möglich, die USA zu destabilisieren,
indem sie den Markt mit gefälschten Dollars überschwemmten? Er hatte
sich mit der cubanischen Botschafterin in Paris angefreundet und
erzählte ihr von der Idee. Sie stellte den Kontakt her, und 1962 traf
sich Lucio in der Nähe von Paris mit Che Guevara, um ihm den Vorschlag
zu unterbreiten, diese Fälschungsaktion gemeinsam in Angriff zu nehmen.
Aber der damalige cubanische Wirtschaftsminister ließ sich nicht dafür
begeistern.
Rechtsanwälte empfahlen Lucio, statt Dollars lieber Schecks zu
fälschen, da die Strafe im Falle einer Verhaftung geringer wäre. Dazu
kommt es 1980: In einem Pariser Café wird Lucio mit einem Koffer voll
falscher Schecks festgenommen. Er kommt in U-Haft und die Lage sieht
düster aus. Aber draußen gehen die Geschäfte mit den falschen Schecks
weiter. Das Netzwerk funktioniert auch ohne Lucio. Für die Citibank
wird das zu einem ernsthaften Problem. Viele Filialen nehmen die
Travellerschecks nicht mehr an, die Touristen sind empört und der Ruf
der Bank ruiniert. So lässt sie sich notgedrungen auf Verhandlungen mit
dem Delinquenten ein. Gegen Herausgabe der Druckplatten und das
Versprechen, keine weiteren Citibank-Schecks zu drucken, würde sie auf
die Strafverfolgung verzichten. Lucio legt noch einen drauf, verlangt
im Gegenzug eine Entschädigung – und bekommt sie.
Trotz seiner beeindruckenden Serie von Gesetzesbrüchen ist es Lucio
gelungen, nur relativ wenig Zeit in Knästen zu verbringen. Die Polizei
traute dem einfachen Arbeiter und Migranten derart ausgefuchste
Aktionen lange Zeit nicht zu, und Lucio selbst war sehr verschwiegen.
Nur wenige wussten von seinen nächtlichen Aktivitäten. In Frankreich
wurde er 1974 zum ersten Mal verhaftet, im Zusammenhang mit der
Entführung eines spanischen Bankdirektors, einer Protestaktion gegen
die Hinrichtungen in Spanien. Mangels Beweisen mussten er und seine
Frau Anne nach kurzer Zeit wieder freigelassen werden. Und auch der
Knastaufenthalt wegen der Citibank-Schecks endete dank des Geschicks
seiner prominenten Anwälte und der Verhandlungen mit der Bank schon
nach einem halben Jahr. Zum Glück hat sich Lucio im Ruhestandsalter
doch noch entschlossen, seine Erfahrungen öffentlich zu machen. Seine
Autobiografie ist soeben auch auf Deutsch erschienen.
1) Lucio. Anarquista, Atracador, Falsificador pero sobre todo … Albañil
(Lucio – Anarchist, Bankräuber, Fälscher, aber vor allem ... Maurer).
Von Jose Mari Goenaga und Aitor Arregi, 90 min, Baskenland 2007
Lucio Urtubia: Baustelle Revolution – Erinnerungen eines Anarchisten,
Übersetzung: Alix Arnold und Gabriele Schwab, Verlag Assoziation A,
ISBN 978-3-935936-84-2, 256 Seiten, 19,80 Euro
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