Vor Strolchen wird gewarnt!
Wer auch immer meint, einen Grund zu haben das Gebaren von Timothy
Grossman und Tobias Hackel, den derzeitigen Geschäftsführern des
Berliner Kinos Babylon Mitte, zu missbilligen (und das sind neben den
Programmkinos und den kommunalen Kinos nicht wenige), mag sich gestern
Abend ins Fäustchen gelacht haben. Die Gäste am Rosa Luxemburg-Platz
mögen sich eher am Kopf gekratzt haben.
Noch wenige Stunden vor der Eröffnung des Stummfilm Festivals
„Berlin-Babylon“ wurde unter anderem beim Medienpartner Radio EINS die
Aufführung von Metropolis am gleichen Abend aufwändig im Rahmen eines
„redaktionellen Beitrages“ beworben. Kaum einem Radiohörer sind wohl
die Ungereimtheiten im Interview aufgefallen, das den Eindruck
erweckte, in wenigen Stunden würde Fritz Langs „Metropolis“ gratis und
open air auf dem Rosa Luxemburg Platz vor Volksbühne und Babylon
aufgeführt, und von einem kreativen und namhaften französischen DJ
vertont werden.
Zu den wenigen Verwunderten gehörten sicher auch die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter des Babylons, die schon seit vielen Tagen wussten, daß
die Vorführung von Metropolis nicht zu Stande kommen würde. Von nicht
ganz regelmässigen Zahlungen soll bei Stiftungen, Archiven und
Verleihern gemunkelt werden, vielleicht wurden auch nur Termine
versäumt. Nichts ungewöhnliches im Babylon, wo extra für die
Fussball-WM beschlossen wurde, das Kinoprogramm weitestgehend
einzustellen, anscheinend noch bevor bemerkt wurde, daß die Frist zur
Beantragung der Übertragungs-Lizenzen der FIFA schon abgelaufen war.
Zwei von drei auf dem Rosa Luxemburg Platz Befragten, reagierten daher
auch ratlos auf die Erkundigungen der später gekommenen Gäste, ob hier
nicht eigentlich Langs Metropolis laufen sollte, während Meister
Murnaus „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“ von der Video-Leinwand
flimmerte. „Technical Problems“, so einige enttäuschte Touristen, seien
angeblich für die Programmänderung verantwortlich, andere hatten gehört
der Verleiher habe kurzfristig abgesagt. Fragt sich, ob nicht nur
einige hundert Touristen und der Medienpartner Radio EINS, oder auch
der Schirmherr des Festivals, der regierende Bürgermeister Wowereit von
Grossman und Co. hinters Licht geführt wurden, was Ursachen und
Zeitpunkt der Programmänderung angeht, die bei weitem nicht so peinlich
ist, wie der Versuch die eigene Inkompetenz auf Andere oder auf
technische Probleme zu schieben.
Über die Ursachen mag spekuliert werden: Ob nun eine (für die vor
Gericht arg gebeutelte Babylon-Geschäftsführung) zu hohe Miete,
schlechte Erfahrungen von Verleihern mit den Veranstaltern, oder gar
eine boshafte Verschwörung von Babylon-Beschäftigten mit diversen
Verleihern und Archiven – irgend ein relevanter Grund verhinderte die
Aufführung von Metropolis durch Grossman und Hackel, die darauf
verzichteten, rechtzeitig Öffentlichkeit und Partner von der Panne in
Kenntnis zu setzen, und es statt dessen offenbar vorzogen zu
verheimlichen, daß die seit langem größte Show des Babylons nicht wie
geplant stattfinden wird. Mit dem überaschenden Streichen von fest
eingeplanten Veranstaltungen hat das Babylon dabei nicht erst seit der
jüngsten, recht kurzfristigen, Verlegung des Besuchs von Angela Davis
zur Konkurrenz zu kämpfen. Auf der Liste der Unterstützer und
Unterstützerinnen gegen gewerkschafts- und beschäftigtenfeindliches
Verhalten Grossmans und Hackels finden sich unter prekba.blogsport.de
zahlreiche Filmschaffende, die ungern im Babylon auftreten.
Fast schon glücklich über den Betrug an den Babylon-Gästen zeigen sich
einige Mitarbeiter: Metropolis sei eine unerträglich reaktionäre
National-Schnulze, so ein Mitglied der FAU Betriebsgruppe im Babylon.
Bühnenbild und Spezial-Effekte seien phänomenal, inhaltlich sei der
Streifen, der die Unterordnung der arbeitenden Bevölkerung unter ihre
Bosse propagiere, eine Katastrophe. Zurecht sei der Film beim
zeitgenössischen Publikum durchgefallen.1
Durchgefallen ist auch das Babylon-Management in Fragen der
Krisenbewältigung und Organisation. Ein Festival, das nach den
kostspieligen Verfahren gegen Beschäftigte und deren Gewerkschaft die
größte finanzielle Herausforderung des Babylon-Budgets darstellt,
begann mit frechem Publikumsbelügen.
1) Die Darstellung der Gesellschaftsordnung von Metropolis lehnt sich einerseits an das marxistische Bild des Kapitalismus an: Es gibt zwei Klassen, deren eine die andere ausbeutet, und es ist faktisch unmöglich, von der unteren in die obere Klasse aufzusteigen. Dass der Sinn der Maschinen den Arbeitern unverständlich bleibt, verweist auf die Entfremdung von Arbeit und Mensch. Andererseits aber übt die Handlung ausdrücklich Kritik an der Revolution, welche die Lebensgrundlage der unteren Klasse vernichtet. „Die Revolution frisst ihre Kinder“. Huppertz' Musik zitiert daher mehrfach die Marseillaise. Parallelen zur Gesellschaftsordnung der beiden Klassen in Die Zeitmaschine von H. G. Wells sind ebenfalls eindeutig.
Die Parabel vom Turmbau zu Babel wird abgeändert: Im Film sprechen Planer und Arbeiter dieselbe Sprache, verstehen einander aber dennoch nicht, weshalb es zur Revolte der Arbeiter kommt und das Projekt scheitert. Die „echte Maria“, die vor einem von Kreuzen flankierten Altar den Arbeitern predigt, ist dem christlichen Fundus katholischer Prägung entnommen (Marienverehrung; die „zweitausendjährigen Katakomben“). Verkündet wird die Ankunft des Mittlers (Erlösers), der für Liebe, Versöhnung und Vergebung steht.
Die falsche Maria bringt später als Hure Babylon die Bourgeoisie in Versuchung und das Proletariat zum Aufstand - und führt die Apokalypse herbei, die Freder liest, während die Maschine sie verwirklicht.
„Joh Fredersen will, dass die in der Tiefe sich durch Gewalttat ins Unrecht setzen, damit er das Recht zur Gewalt gegen sie bekommt …“
Der Mittler hingegen versöhnt die Klassen und nutzt allen – Ende des Klassenkampfs. Diese ideale Zusammenarbeit der Klassen entsprach dem Programm verschiedener politischer Parteien, vom Zentrum bis hin zur NSDAP. Die Rolle des Freder kann auch als eine Parallele zu der Geschichte des Moses gesehen werden, der als Sohn des Herrschers aufwächst, sich aber seinen versklavten „Brüdern“ zuwendet und gegen das eigene Haus revoltiert.
Fritz Lang bekannte später einerseits, dass er Theas Aussage und politischen Anspruch, das Herz vermittle zwischen Hand und Hirn, für unpassend gehalten habe und den Film, für den er zu mindestens 50 Prozent verantwortlich zeichne, nach der Fertigstellung nicht mehr gemocht habe:[3] Das soziale Problem sei mit den Mitteln des Films nicht zu lösen.[2] Er revidierte dies in einem weit späteren Interview, Berlin 1971: Seine Kontakte zur Jugend seines Landes (Amerikas Jugendliche der in der Hippie-Zeit!) wiesen darauf hin, dass ihnen in der aktuellen Gesellschaft das Herz am meisten fehle. „… und da wundere ich mich also: Vielleicht hat die Harbou zum Schluss doch hundertprozentig Recht gehabt.“
Der Misserfolg des Werks beim zeitgenössischen Publikum ist unter anderem dadurch erklärbar, dass das entworfene soziale Bild keinem damals akzeptierten Klischee entsprach: Statt eine humanere und zivilisiertere Gesellschaft herbeizuführen, kehren mit technischen Neuerungen der Zukunft die Sklavenheere vergangener Zeiten zurück; die gigantischen Maschinen bringen der niederen Klasse ein unwürdigeres Leben als zuvor; die Menschenmasse ist leicht manipulierbar, und sogar die mittelalterliche Hexenverbrennung wird wieder praktiziert. „Mit zunehmender Industrialisierung hört die Maschine auf, bloßes Werkzeug zu sein, beginnt ein Eigenleben und zwingt dem Menschen ihren Rhythmus auf. Er bewegt sich, sie bedienend, mechanisch, wird zum Teil der Maschine.“ [4]
Zu den Arbeitsbedingungen:
Mit einer Szene, in der Gustav Fröhlich vor Brigitte Helm auf die Knie fällt, war Fritz Lang auch nach vielen Wiederholungen nicht zufrieden: Zwei Tage lang wurde daran gearbeitet, und Fröhlich konnte danach kaum noch stehen.
Für die Überflutungsszene kamen im kühlen Herbst 1925 schlecht ernährte Kinder zum Einsatz. Im Jahr darauf standen im unbeheizten Studio andere leicht bekleidete Komparsen für die gleiche mehrfach wiederholte Sequenz bereit. Die Massenszene der überfluteten Stadt, die im Film kaum 10 Minuten einnimmt, nahm mehr als 6 Wochen Drehzeit in Anspruch, in der Lang die Statisten (Arbeitslose, die billig und in großer Zahl verfügbar waren) immer wieder ins eiskalte Wasser jagte.
Brigitte Helm musste als Maschinenmensch ein schweres hölzernes Kostüm tragen und kollabierte mehrmals. Auch nach relativ kurzen Szenen musste sie mit Ventilatoren erfrischt werden.
Das Filmteam verbrachte pro Tag 14 bis 16 Stunden unter schlechten Bedingungen im Studio; viele fielen wegen Krankheit aus. Unter der Tyrannei des ihnen verhassten Fritz Lang erging es den Komparsen und der Mannschaft angeblich kaum besser als den babylonischen Sklaven, die für ein monumentales Werk ihres Herrschers zu arbeiten und zu leiden hatten. Insgesamt kamen 27.000 Komparsen zum Einsatz, gedreht wurde an 310 Tagen und 60 Nächten.[8]
Notizen in Kettelhuts Memoiren und auch in Fröhlichs Bericht relativieren dies: Lang wird von Fröhlich als unerbittlicher Regisseur dargestellt, der aber seine Vorstellungen ohne (in der Branche durchaus nicht seltenes) Gebrüll am Set, aber „mit geradezu unerschöpflicher Beharrlichkeit“ durchzusetzen verstand; er habe jeden seiner Mitarbeiter bis zum Äußersten seiner Möglichkeiten gedrängt. Fröhlich spricht sogar von „wenn nötig: Vergewaltigungsenergie“.
Kettelhut erwähnt, dass Lang Bauten, Beleuchtung und Szenen stets in langwierigen Vorbesprechungen und Diskussionen mit dem gesamten Stab festlegte, bevor beispielsweise Modelle in Auftrag gegeben oder realisiert wurden, und dass der Regisseur das zuvor im Team Erarbeitete erst hinterher mit aller Autorität verwirklichte.
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