vom organisieren eines aufstands
Wie wurden die Aktionen innerhalb der Städte organisiert?
Wie sah es mit der Organisation zwischen den Städten aus?
Es
gibt hunderte von kleinen, komplett geschlossenen Bezugsgruppen -
Gruppen, die auf langen Freundschaften und 100% Vertrauen basieren -
und einige größere Gruppen wie die Leute aus den 3 großen Squats in
Athen und 3 weiteren in Thessaloniki. Es gibt mehr als 50 Soziale
Zentren in Griechenland und anarchistische (Frei)Räume in allen
Universitäten des Landes. Außerdem hat die antiauthoritäre Bewegung
Gruppen in allen größeren Städten und es gibt ein Netzwerk von
Bezugsgruppen des Schwarzen Blocks, die in allen griechischen Städten
aktiv sind. Dieses Netzwerk basiert vor allem auf persönlichen
Beziehungen und Verständigung über Telefon und e-mail. Für all diese
Gruppen ist Indymedia ein strategischer Punkt, um wertvolle
Informationen - wo es Stress gibt, wo die Bullen sind, wo die
Geheimpolizei (???) Leute festnimmt, was wo zu welcher Zeit passiert -
zu sammeln und zu teilen sehr wichtig. Es ist auch auf der politischen
Ebene nützlich, um Ankündigungen und Demo-Aufrufe zu veröffentlichen.
Natürlich
dürfen wir auch nicht vergessen, dass in der Praxis die häufigste Form
der Koordinierung die von Freund_in zu Freund_in über Handys ablief;
das war auch die Vorgehensweise, in der die jungen Schüler_innen
meistens ihre Initiativen, Demos und direkten Aktionen koordiniert
haben.
Was für Strukturen der Organisierung gab es?
a)
Verschiedenste Zusammenschlüsse von Freund_innen haben auf der Straße
spontane Entscheidungen getroffen, haben Aktionen geplant und sie
selbst in einer chaotischen, unkontrollierbaren Art und Weise
durchgeführt: Tausende von Aktionen passierten gleichzeitig überall im
ganzen Land...
b) Jeden Nachmittag gab es eine VollVersammlung in besetzen Schulen, besetzten öffentlichen Gebäuden und besetzten Unis...
c) Indymedia wurde für Ankündigungen und strategische Koordination von Aktionen genutzt...
d) Die verschiedenen Kommunistischen Parteien haben ihre eigenen Studentenverbände organisiert...
e)
...und, ein besonders einflussreicher Zusammenschluss wurde von den
Freund_innen von Alexis organisiert, um die Schüler_innen Demos und
Aktionen und die Besetzung von Schulen zu organisieren und um generelle
Ankündigungen der Schüler_innenbewegung zu veröffentlichen.
Gab es bereits existierende Strukturen auf die zurückgegriffen wurde?
Für
die jungen Schüler_innen, die zum ersten Mal auf der Straße waren, und
auch für die Migrant_innen, die mit dabei waren, war das Telefon mehr
als genug; es gab der Situation ein völlig chaotisches und
unvorhersehbares Element. Auf der anderen Seite gab es für die
Anarchist_innen und die Anti-Authoritären die VollVersammlungen, ein
Werkzeug, das in den letzten 30 Jahren in jeder Art der Bewegung
genutzt wurde. Alle Bezugsgruppen, Squats, Soziale Zentren,
Uni-Besetzungen und andere Organisationen haben zudem ihre eigenen VVs.
Andere Leute, die mit dabei waren, waren linke Organisationen und linke
und anarchistische Uni-Gruppen. Während dem Kampf entstanden viele neue
Blogs und neue Netzwerke von Schüler_innen.
Was für Leute haben bei den Aktionen mitgemacht?
Die
meisten waren Anarchist_innen, die Hälfte davon ältere, manche von
ihnen mit einem hohen Risiko, weil sie schon mal verurteilt wurden und
in den Knast müssten, würden sie festgenommen. An ihrer Seite waren
tausende von Schüler_innen zwischen 16 und 18. Außerdem waren
Migrant_innen dabei, tausende von Student_innen, viele Roma Kinder die
sich für die soziale Repression und den Rassismus rächten, und alte
Revolutionäre mit Erfahrungen aus anderen Sozialen Kämpfen.
Welche Aktionsformen gab es?
a)
Zertrümmern, Plündern und Brandstiftung waren die häufigsten
Aktionsformen, die die jungen Leute benutzten. Oft haben sie die teuren
Shopping-Straßen angegriffen, die schicken Luxus-Läden aufgemacht,
alles rausgeholt und es dann angezündet, um dem Tränengas entgegen zu
wirken. Viele umgedrehte Autos dienten als Barrikaden, die die Bullen
auf Entfernung gehalten haben und so befreite Gebiete ermöglicht haben.
Die Bullen haben mehr als 4600 Tränengasgranaten verschossen - fast 4
Tonnen - aber die Leute haben unzählige Feuer angezündet, genug um
Gebiete aufrecht zu erhalten wo du, trotz der chemischen Kriegsführung
des Staates gegen die Bevölkerung, atmen konntest.
Als
tausende von Leuten auf der Straße realisierten, dass der schwarze
Rauch von Feuern den weißen Rauch des Tränengases aufheben kann, fingen
sie an dies als Taktik zu nutzen - sie zündeten alles an, was zur Hand
war, um sich vor dem Tränengas zu schützen. Zu weiteren Techniken
zählen das Zertrümmern des Straßenpflasters, um so tausende von Steinen
zu haben, die von den Leuten als Wurfgeschosse genutzt wurden; und
natürlich die Initiative von Einzelnen Molotovcocktails herzustellen
und zu werfen. Letzteres wurde vor allem angewendet um den Riot Cops
Angst einzujagen und ihnen Respekt vor den Demonstrant_innen
beizubringen, aber auch, um den Ort und die Zeit von Angriff und
Rückzug kontrollieren zu können.
b) Es gab Angriffe mit
Stöcken, Steinen und Mollies gegen unzählige Banken, Bullenstationen
und Bullenautos im ganzen Land. In kleineren Städten waren die Banken
und die Bullen die hauptsächlichen oder einzigen Ziele, weil in diesen
kleinen Gemeinschaften die persönlichen Bekanntschaften die Menschen
davon abgehalten haben, Geschäfte zu zerstören, mit Ausnahme von
einigen Multinationalen Konzernen.
c) Es gab hunderte von
symbolischen Besetzungen von verschiedenen öffentlichen Gebäuden.
Bürgermeisterämter, Bürgerämter, Theater, Radiostationen,
Fernsehstationen und andere Gebäude wurden von Gruppen von 50-70 Leuten
besetzt. Außerdem gab es viele symbolische Sabotage- und
Blockadeaktionen, wie das blockieren von Straßen, Autobahnen, Büros,
Metro Stationen, Bürgerämtern und so weiter, meistens mit dem Verteilen
von tausenden von Flugblättern verbunden.
d) Jeden Tag gab es
stillen Protest, Kunst Happenings und gewaltfreie Aktionen vor dem
Palament und in allen Städten. Die meisten wurden brutal von der
Polizei angegriffen, Tränengas wurde eingesetzt und Leute festgenommen.
e) Linke organisierten Konzerte auf öffentlich Plätzen, an
denen sich Underground Bands aber auch Pop Stars mit einem politischen
Bewusstsein beteiligt haben.
f) Die Kommunistische Partei hat
kontrollierte Student_innen Demos organisiert. Die meisten davon hatten
aber ein geringere Beteiligung als die chaotischen spontanen
Schüler_innen bzw. Student_innen Demos.
Wie viele der
beteiligten Leute waren vorher schon an ähnlichen Aktionen beteiligt?
Für wie viele, denkt ihr, war es das erste Mal?
Einige tausend
Leute waren erfahrene anarchistische Aufständische., anti-autoritäre
und libertäre Autonome; die Hälfte davon waren ältere Anarchist_innen,
die nur für wichtige Kämpfe auf die Straße gehen, weil die meisten von
ihnen schon vorbestraft ist. Es gab auch tausende von jungen Menschen,
die in den letzten 3 Jahren, durch die Sozialen Kämpfe über die
Sozialversicherung und gegen die Privatisierung von Bildung und auch
über die Demos, die nach den Waldbränden 2007 (die 25% der natürlichen
Freiflächen in Griechenland zerstört haben) stattfanden, radikalisiert
wurden. Wir schätzen, dass es für ungefähr 30% der Leute das erste Mal
war, dass sie an einem Riot beteiligt waren.
Welche Taktiken wurden schon vorher in Griechenland genutzt? Haben sie sich während dieser Riots weiter verbreitet?
Wenn ja, wie passierte das?
Die
meisten Taktiken die in diesem Kampf genutzt wurden werden seit langem
in Griechen-land genutzt. Das wichtigste neue Merkmal an diesem Kampf
war, dass sofort im ganzen Land Aktionen stattgefunden haben. Die
Ermordung eines Jungen im für anarchistische Aktivität wichtigsten
Stadtteil hat eine sofortige Reaktion ausgelöst; innerhalb von 5
Minuten nach seinem Tod waren anarchistische Zellen im ganzen Land
aktiviert. In einigen Fällen wurden die Bullen viel später als die
Anarchist_innen informiert, warum sie von den Leuten angegriffen
werden. Für die griechische Gesellschaft war es überraschend, dass die
Mehrheit der jungen Menschen die Taktik der "anarchistischen Gewalt,
zertrümmern und verbrennen" adaptiert hat, aber das war das Ergebnis
eines generellen Einflusses, den anarchistische Aktionen und Ideen in
den letzten 4 Jahren auf die griechische Gesellschaft hatten.
Gab es Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen die bei den Aktionen dabei waren?
Die
Kommunistische Partei hat sich selbst von den Anarchist_innen und
Linken separiert und eigene Demos organisiert. Außerdem zeigen die
Ankündigungen, die die Kommunistische Partei veröffentlicht hat, ihr
auftreten in den bürgerlichen Medien, ihre Reden im Parlament und die
negative Propaganda, die sie über alle linken/linksradikalen
Organisationen verbreitet haben, dass sie die wirkliche Feindin
jeglicher Bemühungen um soziale Veränderungen ist.
Was denkt die "Öffentlichkeit" über die Aktionen?
Was in Zeiten einer Tele-Demokratie als "Öffentlichkeit" bezeichnet wird bedarf einiger Diskussionen.
Grundsätzlich
ist es aber so, dass die "Öffentlichkeit" Angst hat, wenn der Fernseher
sagt, dass wir "die Läden der armen Leute" anzünden. Aber die Menschen
wissen ganz genau, was es für Läden in den Luxus Shopping Meilen gibt,
in denen die Riots stattgefunden haben. Sie haben Angst, wenn der
Fernseher sagt, dass wütende Migrant_innen auf die Straße gegangen sind
und geplündert haben, aber sie wissen auch, dass die Migrant_innen arm
und verzweifelt sind, und sie wissen auch dass es eine Minder-heit von
ihnen war, die auf die Straße gegangen ist. Es gab viele
Künstler_innen, Theoretiker_innen, Soziolog_innen und so, die
Erklärungen für die Revolte angeboten haben und viele davon waren
unserer Sache dienlich. Einige waren bestimmt im Geist der Zeit
eingeschlossen, während andere die Situation genutzt haben um ihre
wahren Ideen auszudrücken. Die "Öffentlichkeit" ist wütend, dass die
Polizei einen 15-jährigen ermordet hat und sie hassen die Bullen mehr
als davor - es ist aber so, dass eigentlich niemand die Bullen je
mochte. Die Mehrheit der "normalen" Leute trauen weder der jetzigen
rechten Regierung noch der vergangenen sozialistischen und sie mögen
die Polizei, teure Läden und Banken nicht. Jetzt taucht eine neue
öffentliche Meinung auf, die all die sozialen und ethischen Gründe für
eine Revolte bietet. Wenn es bis jetzt schwierig war Griechenland zu
regieren, wird es jetzt noch viel schwieriger werden.
Wie
wichtig ist das Vermächtnis der Diktatur in Griechenland in diesem
Kontext? Beeinflusst es die öffentliche Meinung und Aktionen in diesem
Fall?
1973 waren die jungen Menschen die einzigen, die das
Risiko auf sich genommen haben, gegen die damals seit 7 Jahren
existierende Diktatur zu rebellieren. Auch wenn das nicht der einzige
Grund für das Ende der Diktatur war, in der kollektiven Erinnerung
bleiben die Student_innen diejenigen, die Griechenland vor der Diktatur
und einer US-Vorherrschaft gerettet haben. Es ist eine weit verbreitete
Annahme, dass sich die jungen Leute großen Risiken aussetzen, um das
beste für alle zu erreichen. Das führt dazu, dass die Aktionen mit
großer Hoffnung und Toleranz beobachtet werden. Klar ist, dass das
Geschichte ist. Auch wenn es den Hintergrund dieser Kämpfe stellt, wird
jetzt nicht direkt darauf Bezug genommen.
Ein weiterer
Einfluss sind die Student_innen-Revolten von 1991 und 1995 gegen die
Privatisierung der Bildung. Sie verhinderten erfolgreich die Pläne der
Regierung und haben die freie Bildung bis heute erhalten. Zugegebener
Maßen war die Revolte 2007 bis jetzt der Höhepunkt der anarchistischen
Bewegung in Griechenland, weil sie im ganzen Land stattfand und es
einen großen Einfluss auf die Aktionen und Slogans und Ideen weiter
Teile der Bevölkerung gab; aber die früheren Student_innen Kämpfe, vor
allem der in Athen 1991, waren sichtbarer und breiter.
Denkt
ihr, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Situation so entscheidend
ist für das was gerade passiert wie die Massenmedien sagen?
Auch
die jungen Leute aus den reichen Teilen Athens haben die
Bullenstationen in ihren Bezirken angegriffen, weshalb sogar die
Klassenkampf Marxisten ernsthafte Schwierigkeiten hatten, zu erklären
was passiert: die Trennung in Arm und Reich scheint nicht so wichtig zu
sein wie die lange bestehende Solidarität und die Beteiligung am Kampf
für Gleichheit und soziale Gerechtigkeit.
Auf der anderen
Seite können Griech_innen zwischen 25 und 35 aufgrund der
wirtschaftlichen Verhältnisse keine Familien gründen und Kinder
kriegen. Griechenland ist das unterbevölkerteste Land Europas. Aber wir
wollen hier nicht behaupten, dass das der Grund für die Revolte ist.
Die jungen Menschen sind wütend und sie hassen die Bullen, den
kapitalistischen Zynismus und die Regierung aus einem natürlichen
Instinkt heraus, der keine Erklärungen oder ein politisches Programm
braucht. Die lokalen Medien hier haben versucht, nicht über die
sozialen Bedingungen zu berichten, anders als das in den englischen,
französischen oder U.S. Medien war. Hier haben die Medien versucht,
Lügen über die chaotischen Vermummten, die keine Ideen und keine
soziale Identität haben, zu verbreiten. Weil der moralische Einfluss
der Anarchist_innen grade so stark ist könnte die Gesellschaft
explodieren, wenn sie im Fernsehen ernsthaft über unsere Ideen
sprechen. Mit der Ausnahme einiger weniger Fernsehsender und Zeitungen
hat der Großteil der Massenmedien versucht, die wirtschaftlichen
Gründen von der chaotischen Revolte zu trennen.
Sogar die
Linken der 68er Generation sagen, wenn sie mit den Medien sprechen,
dass die Zerstörung und die Riots kein politischer Ausdruck der
Bedürfnisse und der Hoffnungen der Menschen sind; dass die
Anarchist_innen und die jungen Menschen nicht die Fähigkeit haben, eine
politisches Programm zu formulieren, und dass die Menschen eine andere
Form der politischen Repräsentation brauchen. Natürlich hat all das
kaum Einfluss auf die jungen Menschen Sie werden an den sozialen
Kämpfen der Zukunft teilhaben, weil es nach diesem Kampf Spannungen und
eine Kluft zwischen den jungen Menschen und jeder Form von politischer
Führung oder Autorität gibt.
Welche anderen Motivationen außer der Wut auf Polizei und Wirtschaft treiben die Leute eurer Ansicht nach dazu mitzumachen?
Das
persönliche und kollektive Bedürfnis nach Abenteuer; das Bedürfnis
teilzunehmen, wenn Geschichte gemacht wird; die chaotische Negation
jeder Art von Politik, von politischen Parteien und "seriösen"
politischen Ideen; die kulturelle Kluft, die deutlich wird im Hass auf
jede Art von Fernsehstar, jede Soziolog_in oder Expert_in, die
beansprucht, dich als ein soziales Phänomen zu analysieren; das
Bedürfnis zu existieren und so gehört zu werden, wie du bist; die
Begeisterung gegen die Behörden zu kämpfen und sich über die Riot Cops
lustig zu machen; die Kraft in deinem Herzen und das Feuer in deiner
Hand, die unglaubliche Erfahrung Mollies und Steine auf die Bullen zu
werfen: vor dem Parlament, in den teueren Einkaufsstrassen oder in
deiner kleinen stillen Stadt, in deinem Dorf, in deiner Nachbarschaft.
Unsere
Motivationen kommen aus dem kollektiven Gefühl, mit deinen besten
Freund_innen eine Aktion zu planen, sie wahr werden zu lassen, und
später Leute über diese Aktion reden zu hören: als eine unglaubliche
Geschichte, die sie von anderen gehört haben; die Begeisterung von
einer Aktion, die du mit deinen Freund_innen gemacht hast in einer
Zeitung oder einer Fernsehsendung auf der anderen Seite des Planeten zu
hören; das Gefühl der Verantwortung die du hast, Geschichten, Aktionen
und Pläne zu schaffen, die zu globalen Beispielen für künftige Kämpfe
werden. Es ist auch das große feierliche Vergnügen die Läden
einzuschmeißen, die Produkte zu nehmen und anschließend abzufackeln,
all die falschen Versprechungen und Träume des Kapitalismus verkohlt
auf der Strasse liegen zu sehen; der Hass auf alle Autoritäten, das
Bedürfnis teilzunehmen an der kollektiven Zeremonie der Rache für eine
Person, die du hättest sein können, die persönliche Vendetta, das die
Polizei für den Tod von Alexis überall im Land zahlen muss; das
Bedürfnis eine kraftvolle Botschaft an die Regierung zu senden, dass,
sollte die Polizeigewalt zunehmen, wir die Kraft haben
zurückzuschlagen, und dass die Gesellschaft explodieren wird - das
Bedürfnis eine direkte Botschaft an die Gesellschaft zu schicken, dass
alle aufwachen müssen, und eine Botschaft an die Behörden, dass sie uns
ernst nehmen müssen, denn wir sind überall und wir kommen alles zu
ändern.
Sind die politischen Parteien erfolgreich darin, die Energie des Aufstands zu kanalisieren?
In
"realen" Zahlen haben die Sozialisten ihren Vorsprung vor der rechten
Regierung ausgebaut und führen in Umfragen mit 8%, die Kommunist_innen
vom "Europäischen Sozialforum" haben 1% verloren, obwohl sie der
Revolte geholfen haben, sie sind aber mit 12% weiterhin an dritter
Stelle; die Kommunistische Partei hat 8%, die nationalistischen
Neo-Faschisten 4,5%, und die Grüne Partei liegt beständig bei 3,5%.
Es
ist ebenfalls interessant, dass der Anführer der Sozialistischen Partei
jetzt als derjenige mit der "größten Fähigkeit das Land zu regieren"
erscheint, nachdem er jahrelang weit weniger beliebt war als der rechte
Premierminister. Die Riots hatten einen großen Effekt auf die
politische Landschaft: die politischen Parteien schienen nicht in der
Lage zu sein, die massive Welle der Gewalt und die Beteiligung aus
allen Teilen der Gesellschaft zu verstehen, zu erklären, darauf zu
reagieren. Ihre Ankündigungen waren irrelevant für das, was wirklich
geschah. Ihre Popularität sank dramatisch beim jüngeren Teil der
Bevölkerung, die sich in der Logik und der Politik der politischen
Parteien nicht wiedererkennen und sich von ihnen nicht repräsentiert
fühlen.
Was war die Rolle der Anarchist_innen beim Anfangen
und Fortsetzen der Aktionen? Wie klar wird ihre Beteiligung im Rest der
Gesellschaft wahrgenommen?
In den letzten Jahren haben
Anarchist_innen ein Netzwerk von Gemeinschaften, Gruppen,
Organisationen, Squats und Sozialen Zentren in fast allen größeren
Städten Griechen-lands aufgebaut. Viele mögen sich untereinander nicht,
es gibt viele bedeutende Unterschiede zwischen den Gruppen und
Individuen. Der Bewegung hilft das jetzt, denn so kann sie eine große
Vielfalt von Menschen erreichen. Viele verschiedene Arten von Leuten
finden ihre Genoss_innen in verschiedenen anarchistischen Bewegungen
und alle zusammen treiben sich gegenseitig dazu an - auf positive,
wenngleich antagonistische Weise - mit der Gesellschaft zu
kommunizieren. Zu dieser Kommunikation gehört es,
Nachbarschaftsversammlungen einzuberufen, sich an sozialen Kämpfen zu
beteiligen und Aktionen zu planen, die für die Gesellschaft als solche
Bedeutung haben. Nach 30 Jahren anti-sozialem Anarchismus hat die
anarchistische Bewegung in Griechenland, mit all ihren Problemen,
Beschränkungen und internen Konflikten, heute die Fähigkeit außerhalb
des anarchistischen Mikrokosmos zu blicken und Aktionen zu machen, die
auf deutlich sichtbare Art für die Gesellschaft im großen Ganzen
wirken. Dies offensichtlich zu machen wird mit Sicherheit viele
Anstrengungen kosten, aber mit jedem Tag kann es weniger geleugnet
werden.
Die Rolle der Anarchist_innen zu Beginn und beim
Aufrechterhalten der Aktionen... besonders zu Beginn - Samstag und
Sonntag, den 6. und 7. Dezember - und auch bei der Fortsetzung der
Aktionen nach Mittwoch, dem 10. Dezember, stelten Anarchist_innen bei
weitem die Mehrheit derjenigen, die die Aktionen ausführten. An den
mittleren Tagen, speziell am Montag, dem Armageddon der Zerstörung,
spielten Student_innen und Immigerant_innen eine sehr wichtige Rolle.
Aber der großen Mehrheit der Student_innen fiel es nach ein, zwei, drei
Tagen Randale leicht sich zufrieden zu fühlen und nach Hause
zurückzukehren oder Demonstrationen mit friedlicherem Charakter zu
besuchen. Entsprechend waren Immigrant_innen sehr starken Reaktionen
von Einheimischen ausgesetzt und hatten Angst, wieder auf die Strasse
zurückzukehren.
Die 20.000 Anarchist_innen, die es in
Griechenland gibt haben also angefangen und weitergemacht, als alle
anderen zur Normalität zurückkehrten. Und wir müssen feststellen, dass
es die Angst vor der Rückkehr zur Normalität war, die uns geholfen hat,
den Kampf weitere zehn Tage lang aufrecht zu erhalten, und uns in große
Gefahr zu bringen, als sich die Racheakte für das Attentat auf unseren
Genossen in Vorbereitungen auf einen Generalstreik verwandelten, in
unserer Fantasie. Nun weiß die europäische Gesellschaft ein für
allemal, wie ein sozialer Aufstand aussieht, und dass es nicht
schwierig ist die Welt in einigen Monaten zu ändern. Aber dazu ist es
nötig, dass alle Leute teilnehmen und ihre Rolle spielen. Die jungen
Leute Griechenlands haben eine Einladung an alle Gesellschaften überall
in Europa geschickt. Wir warten jetzt auf die Antworten.
Wie sichtbar sind Anarchist_innen allgemein in Griechenland?
Wie "ernst" wird Anarchismus von der Mehrheit der griechischen Leute genommen?
In
gewissen Sinne kann man sagen, dass sich die Anarchist_innen erst seit
drei oder vier Jahren selbst "ernst" nehmen, und entsprechend werden
wir in der breiteren Gesellschaft wahrgenommen. Erst in den letzten
Jahren ist es uns gelungen, die Beschränkungen der Anti-Polizei
Strategie zu überwinden, die unsere Anstrengungen 25 Jahre lang
charakterisiert hatte. Gemäß dieser Strategie greifen wir die Polizei
an, sie nehmen Leute fest und wir machen Solidaritäts-Aktionen, immer
und immer wieder. Wir haben 25 Jahre gebraucht, um dieser Routine zu
entfliehen. Na klar, die Angriffe und Kämpfe gegen die Polizei gehen
weiter und die Gefangenen-Solidaritäts-Bewegung ist so stark wie nie
zuvor, aber das anti-soziale Element innerhalb der anarchistischen
Bewegung steht unter bewusster Selbstkontrolle. Wir können nun über
Vorteile für die ganze Gesellschaft reden, uns kümmern und handeln,
indem wir Aktionen und Pläne machen, die eine deutliche Sprache
sprechen und zumindest von einem Teil der Gesellschaft verstanden
werden können.
Viele Aktionen werden breit akzeptiert.
Angriffe auf Supermärkte und die anschließende freie Verteilung der
gestohlenen Güter sind sehr populär geworden. Angriffe auf Banken
werden ebenfalls akzeptiert, besonders jetzt in der ökonomischen Krise,
und Angriffe auf Polizeistationen haben Schüler_innen überall im Land
aufgegriffen und angewendet. Auf die ein oder andere Weise waren wir in
den vergangenen 15 Tagen Thema Nummer eins in den Nachrichten.
Allgemein gesagt, durch unsere Beteiligung in Kämpfen der Student_innen
und Arbeiter_innen, aber auch in ökologischen Kämpfen, zieht jede Woche
eine anarchistische Aktion die Aufmerksamkeit auf sich und macht die
anarchistische Bewegung damit sichtbar.
Das heißt nicht, dass
"Anarchismus" von der Mehrheit der griechischen Leute ernst genommen
wird, denn die meisten Leute glauben noch immer den Lügen im Fernsehen,
die uns als "Vermummte" und Kriminelle darstellen, und außerdem hat die
Mehrheit nicht die geringste Idee davon, wie eine anarchistische
Gesellschaft jemals funktionieren könnte - das trifft auch für die
meisten Anarchist_innen zu, die sich dieser Frage ebenfalls verweigern!
Aber unsere Aktionen, unsere Kritiken und Ideen haben jetzt einen
starken Einfluss auf linke und fortschrittliche Leute. Es ist nicht
mehr möglich zu sagen, dass wir nicht existieren und jetzt
radikalisiert unsere Existenz die Mehrheit der jüngeren Generation.
Welche Rolle hatten Subkulturen wie Punks, Squatters, usw. dabei gespielt den Aufstand möglich zu machen?
Nach
1993 gab es eine starke Tendenz innerhalb der anarchistischen Bewegung
- begleitet von vielen ernstzunehmenden internen Kämpfen - die den
Einfluss "subkultureller" Styles beseitigt hat. Das bedeutet, dass es
keine Punk-, Rock-, Metal- oder was-auch-immer-anarchistische Identität
in der griechischen anarchistischen Bewegung gibt - du kannst sein was
du willst, du kannst die Musik hören die du willst, du kannst jeden
Stil und Mode haben, die du willst, aber das ist keine politische
Identität.
Bei den Strassenschlachten haben diesen Monat viele
"Emos" teilgenoemmen, zusammen mit Hippy Freaks und Ravern, vielen
Punks, Heavy Metal Fans, genauso wie normale trendy Kids und
Student_innen, die griechische Musik oder was auch immer mögen. Es ist
das soziale und politische Bewusstsein, soziale Kritik und kollektives
Verständnis, das dich dazu bringt in der anarchistischen Bewegung
mitzumachen, nicht Fashion. Sicherlich hat das Void Network und
ähnliche Kollektive eine Rolle dabei gespielt, eine kulturelle
Einführung in radikale politische Räume zu bieten. Solche Gruppen
organisieren jedes Jahr viele kulturelle/politische Events, Festivals
und Parties und sie haben die Kraft den kulturellen Untergrund für
zig-tausende attraktiv zu machen. Aber noch nicht mal das Void Network
schafft subkulturelle Identitäten, separiert die verschiedenen
Subkulturen nicht, sondern versucht Events zu organisieren, welche die
meisten Untergrund-Kulturen anspricht. Dennoch ist es wahr, dass die
Mehrheit der Leute in der Szene zu den meisten Veranstaltungen der
D.I.Y. Untergrund-Kultur geht und teilnimmt, jeden Monat werden viele
solcher Events in befreiten Räumen organisiert.
Was hat die anarchistische Bewegung in Griechenland stark gemacht?
Die
Trennung von der subkulturellen Identitätspolitik hat vielen Leuten
klar gemacht, dass es mehr bedeutet sich Anarchist_in zu nennen als
einfach ein T-shirt mit Antichrist zu tragen, sich auf Punk-Konzerten
zu besaufen und hypnotische Pillen zu schlucken, mehr ernsthafte
Teilnahme, mehr Planung, mehr Kreativität und Taten. Es gibt jetzt ein
Verständnis davon, dass du zu Demos kommen musst, auf die Strasse
kommen musst, wenn du dich Anarchist_in nennst, mit schwarzen oder
schwarz-roten Fahnen gemeinsam Parolen rufst und die anarchistische
Präsenz manifestiert. Dass du jede Woche an ein, zwei, drei
verschiedenen Versammlungen teilnehmen solltest, um mit anderen Leuten
ein, zwei, drei verschiedene Aktionen, Pläne, oder Kämpfe zu
besprechen, wenn du dich Anarchist_in nennst. Du musst mit den Leuten
befreundet sein und ihnen 100% trauen, um irgendwas gefährliches zu
planen, du musst dir über alles was in der Welt vorgeht im Klaren sein,
informiert sein, um entscheiden zu können, was der entsprechende
Verlauf einer Aktion ist, du musst verrückt und begeistert sein, um zu
spüren, dass du unglaubliche Dinge tun kannst - du musst bereit sein
dein Leben, deine Zeit, deine Jahre in einem Kampf zu geben, der nie
enden wird. Es ist gesund, keine Erwartungen zu haben, denn dann wirst
du nicht enttäuscht. Du erwartest nicht zu gewinnen. Du bist daran
gewöhnt aufzutauchen, zu kämpfen und dann wieder abzutauchen; du weißt
wie du als person unsichtbar wirst und sichtbar als kollektive Kraft;
du weißt, dass du nicht das Zentrum des Universums bist, aber zu jeder
Zeit kannst du zum Zentrum deiner Gesellschaft werden.
An welchen Punkten denkt ihr, dass die anarchistische Bewegung in Griechenland besser oder stärker werden könnte?
Wir
müssen intelligentere Wege finden, den Leuten unsere Ideen zu erklären.
Wir brauchen Techniken der politischen Kommunikation mit allen Leuten
in der Gesellschaft, bessere und stärkere Wege für die "politische
Übersetzung" unserer Aktionen, um den ganzen Kampf in seinen sozialen
Kontext zu stellen. In einer Tele-Demokratie, in der Politiker_innen
nichts anderes sind als Fernseh-Superstars, ist unsere Verweigerung mit
oder durch die Massenmedien zu kommunizieren eine gesunde Sache, aber
wir müssen neue Wege finden, die "Wirklichkeit der Zustimmung" der
Massenmedien zu überwinden, die gegen uns gerichtete Medienpropaganda,
und Wege finden der Gesellschaft die Gründe für unsere Aktionen zu
erklären. So lange irgendwelche TV-Shows "existieren" und alles, was
nicht im TV auftaucht "nicht existiert", werden wir mit unseren
verrückten Ideen da sein und mit gefährlichen Aktionen und
Strassenschlachten die Normalität des TV-Programms aufbrechen, werden
wir die negative Werbung unserer Aktionen nutzen, um die Fantasien und
Träume der gewöhnlichen Leute zu entführen. Aber wie können wir unsere
positiven Ideen allen erklären? Wie können wir dazu beitragen, dass die
Leute aufhören, den Medien zu vertrauen? Wie können wir mit Millionen
und Millionen Menschen in Kontakt kommen?
Es wird Millionen
und Millionen Plakate und kostenlose Pamphlete brauchen, die in den
Strassen von Hand zu Hand wandern; Millionen von Einladungen zu
Demonstrationen und immer wieder die Beteiligung an Sozialen Kämpfen;
es wird mehr kostenlose öffentliche Dienste brauchen in Gebieten, in
denen sie der Staat nicht zur Verfügung stellen will oder kann - freie
anarchistische Ärzte und Ärztinnen, Lehrer und Lehrerinnen, freies
Essen, freie Unterkunft, Information, Untergrund-Kultur, usw. - das
kann den Leuten unsere Ideen näher bringen. Es wird auch mehr Squats
und Soziale Zentren brauchen. Wenn ihr ein Haus besetzen könnt, ist das
besser, aber wenn es nicht möglich ist, in eurer Stadt was zu besetzen,
dann mietet ein Haus mit euren Freund_innen, erledigt die Bürokratie,
macht ein Kollektiv, startet eine Versammlung und hängt die schwarze
oder schwarz-rote Fahne in den Eingang. Beginnt damit, den Leuten in
eurer Stadt ein lebendes Beispiel für eine Welt ohne Rassismus,
Patriarchat oder Homophobie zu bieten, einen Ort der Gleichheit, der
Freiheit, des Respekts für Unterschiede, eine Welt in der es Liebe gibt
und in der geteilt wird. Wir brauchen mehr "Autonomia" im
Insurrektionalismus der griechischen anarchistische Bewegung, um sie
als Paradigma einer neuen Welle sozialen Lebens aufscheinen zu lassen
und diese neue Überlebensstrategie in den Metropolen vorzuführen.
Wie
effektiv war die Repression der Polizei darin, die anarchistische
Bewegung zum Schweigen zu bringen? Wie haben die Leute Widerstand
dagegen geleistet?
Die Träume und Pläne der
Insurrektionalist_innen wurden wahr: eine grosse Welle der Beteiligung
"überspülte" die Anarchist_innen, und viele chaotische Tage lang
reisten und kämpften Leute in der Stadt wie nie zuvor, existierten in
einer unbekannten Art von Zeit und Raum.
In den gleichen Tagen
stießen sie, na klar, auch auf die Grenzen des Aufstands. Die Leute
verbringen nun lange Stunden in Diskussionen darüber, wie das
allgemeine Verständnis erweitert werden kann, Praktiken, Aktionen und
Methoden erfunden werden können, die den Kampf weitertreiben und
bereichern können. Viele Leute denken über Wege nach, die all die
verschiedenen Elemente dieser Revolte wirklich zusammen bringen können.
Die Repression der Polizei spielte keine bedeutendere Rolle für den
Abschluss der Riots als die physische Erschöpfung. Wir alle teilen ein
Gefühl der Vollendung und ein Gefühl des Beginns, und dies sind Gefühle
an welche die Polizei nicht rühren kann.
Was denket ihr welches Ergebnis die Ereignisse vom Dezember letztlich haben werden?
Der Kampf geht weiter! Ein Kampf für politische, soziale und ökonomische Gleichheit! Kontinuierliche Ausweitung der Freiheit!
In
Zukunft werden es sich die neoliberalen Regierungen in Griechenland und
überall in Europa sehr gut überlegen, bevor sie versuchen irgendwelche
sozialen oder sozialen Veränderungen durchzusetzen. Die Riots in Athen
und die Wirtschaftskrise haben dem Zynismus der Behörden, Banken und
Konzerne ein Ende bereitet, sie haben eine Generation in Griechenland
radikalisiert und unserer Gesellschaft eine Chance gegeben einen Dialog
über die massiven sozialen Kämpfe der Zukunft zu eröffnen.
Wie der Slogan es im Dezember 2008 in Athen und Exarchia es sagte:
WIR SIND EIN BILD AUS DER ZUKUNFT.
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