Nordhäuser Fahrradwerker bitten um Unterstützung ihrer Produktion in Selbstverwaltung
Auferstanden aus In-West-Ruinen
Die Nordhäuser Fahrradwerker haben zum 01.05.2008 die Produktion von
Fahrrädern in kollektiver Selbstverwaltung wieder aufgenommen. Nach
Abzug der Lone-Star-Heuschrecke(1) und des Insolvenzverwalters blieben vom
ehemaligen gut ausgerüsteten Fahrradwerk nur noch vermüllte
Produktionsruinen zurück. Die Produktionsanlagen wurden ins Ausland
zwecks Billigproduktion verschleudert. Das Ziel der Finanzspekulanten
wurde vorerst erreicht.
Aber nicht mit uns, wir haben uns neu aufgestellt und produzieren wieder!
Zur Anschaffung von weiteren produktionsnotwendigen Maschinen und
Anlagen ist es für uns äußerst wichtig bis Ende Juni ca. 2.000
Fahrräder der Marken "Volksrad"(2) und "Strike-Bike" an den Endverbraucher
gegen Vorkasse zu verkaufen. Aber dazu später mehr...
Zugegeben, die Tatsache, dass in Nordhausen Fahrräder produziert
werden, ist nichts Neues. Jedoch verbirgt sich hinter dieser Aussage
eine Geschichte. Eine Geschichte die interessant war, und in Zukunft
faszinierend werden könnte.
Ab 1986 wurden im damaligen IFA-Motorenwerk neben LKW Motoren,
Achsantriebe und Handwagen nun auch Fahrräder produziert. Anfangs unter
recht abenteuerlichen Bedingungen, aber trotzdem jährlich bis zu
100.000 Stück.
Einige Jahre nach der politischen Wende in Deutschland waren vom
ehemaligen DDR Großbetrieb mit bis zu 5.000 Mitarbeitern, nur noch die
Fahrradwerker aktiv. Die Mitarbeiter der früheren
"Konsumgüterproduktion Fahrrad" waren schon während der Wendezeit, und
vor allem in der Zeit der Umstrukturierung der DDR-Wirtschaft unter
marktwirtschaftlichen Bedingungen, recht zielstrebig und erfinderisch
um ihre Arbeitsplätze zu erhalten.
Es folgte die Zusammenarbeit mit dem fränkischen Fahrradproduzenten
WINORA und einige Jahre später die Bike Systems Nordhausen. Im Laufe
der Jahre wurde eine Produktionskapazität von bis zu 300.000 Fahrrädern
erreicht, die mit ca. 300 fest angestellten Mitarbeitern hergestellt
wurden.
Doch im Jahr 2000 waren die soliden Arbeitsplätze in unserer Region
erstmals bedroht. Das Schreckgespenst der Insolvenz schlug auch im
Nordhäuser Fahrradwerk zu. Zu hohe Produktions- und Einkaufskosten
wurden damals als die Hauptgründe der Zahlungsunfähigkeit benannt.
Jedoch, besonders auch mit Hilfe des Managements, wurde damals eine
verträgliche(3) Lösung für alle Mitarbeiter gefunden. Die BIRIA - AG hatte
das Werk übernommen, und ab 2001 ca. 250.000 Fahrräder für den
deutschen Markt produziert. Unsere Partnerfirma wurde die
Sachsenzweirad in Neukirch/Lausitz.
Wiederum zu hohe Produktionskosten, und nicht zu letzt zu geringe
Erträge aus den Verkäufen der jetzt produzierten Billig-Fahrräder
machten der BIRIA-AG zu schaffen. Zur Abwendung einer weiteren
Insolvenz, und somit dem Verlust von ca. 400 Arbeitsplätzen in
Nordhausen und Neukirch, wurde nach solventen Partnern Ausschau
gehalten. Rettung nahte mit dem texanischen Finanzinvestor
"Lone-Star-Fonds" dem späteren "Totengräber" unserer sozialen
Sicherheit.
Der Finanzinvestor zeigte nach kurzer Zeit seine wahre Fratze. In
Heuschreckenmanier(4) sollte möglichst schnell Profit erwirtschaftet
werden - egal wie. In der Weihnachtszeit 2005 wurden den ca. 270
Mitarbeiter in Neukirch die Stilllegung der Produktion zum 31.12.2005
mitgeteilt. Ein sehr magerer Sozialplan ohne soziale Sicherheit wurde
aufgestellt.
Auf einer Betriebsversammlung am 22.06.2007 wurden auch die ca. 130
Mitarbeiter in Nordhausen vom Produktionsexitus zum 30.06.2007
informiert. Für viele Mitarbeiter mit einer über 20-jährigen
Werkszugehörigkeit ist an diesem Tag die Welt zusammen gebrochen.
Aufträge, Kunden und Materialreserven wurden an die MIFA ins
benachbarte Sangerhausen verscherbelt, - da kann man ja mit
Leiharbeitern zu Billigstlöhnen profitabler produzieren.
Aber es standen ja noch Interessensausgleichverhandlungen bevor.
Am 09.07.07 wurde der Betriebsrat durch die von "Lone-Star" neu
installierte Geschäftsleitung informiert, dass weder für einen
Sozialplan noch für Abfindungen Geld da sei, selbst die
Kündigungsfristen könnten nicht eingehalten werden.
Was dann folgte war bis zu diesem Zeitpunkt einzigartig in Deutschland.
Die Belegschaft der Bike Systems besetzte die Produktionsstätte rund um
die Uhr, und machte durch viele Aktionen europaweit auf sich
aufmerksam. Kontakte zur Politik wurde gesucht, Ziele der Besetzung
wurden definiert. Mit Hilfe von IG-Metall und des DGB wurden
Protest-aktionen in Frankfurt und Berlin organisiert. Als Druckmittel
wurde seitens der völlig unkundigen Geschäftsführung eine
fadenscheinige Insolvenz über die Bike Systems Nordhausen beantragt.
Wir sollten vom "Hof geklagt" werden.
Doch dann trat der aus Wendezeiten bekannte und unbedingte Wille der
Fahrradwerker zur Wiederaufnahme der Produktion zu Tage. Während unser
Management schon in den Sesseln der MIFA Platz genommen hatte, suchte
die Belegschaft nach Möglichkeiten zur Fortführung der Produktion.(5)
Durch die Zusammenarbeit mit verschiedensten
Gewerkschaftsgruppierungen, durch weltweite Solidarität, und durch den
unbändigen Willen aller Mitarbeiter wurde die Strike Bike Produktion
geplant und durchgeführt.(6) Der Verein "Bikes in Nordhausen e.V." wurde
zur rechtlichen Absicherung gegründet, und Ziele des Vereins in der
Satzung beschrieben.
1850 Fahrräder wurden in kollektiver Selbstverwaltung geplant,
produziert und vertrieben. Diese technisch zugegeben einfachen
Sporträder entpuppten sich als wahre Verkaufsrenner, zumal sie von der
Optik her sehr auffällig sind. Und dennoch musste die Produktion
beendet werden, da ab dem 01.11.2008 eine mit dem Insolvenzverwalter
ausgehandelte Transfer-maßnahme für alle Mitarbeiter begonnen hatte.
Das Betriebsgelände musste geräumt werden.
Und wiederum wollten die Nordhäuser Fahrradwerker nicht aufgeben. Auf
der Mitglieder-versammlung des Vereins "Bikes in Nordhausen e.V." am
22.02.2008 wurden die Weichen in Richtung Produktionsfortführung
gestellt. In dem vom Vorstand aufgestellten Konzept soll die
Weiterführung der Produktion von Fahrrädern, unter der satzungsgemäßen
Nutzung der Vereinsmittel, erwirtschaftet aus der Strike Bike
Produktion, vorangetrieben werden. Die Mitglieder des Vereins stimmten
diesem Modell, das anfangs nur 21 Arbeitsplätze ermöglicht, zu.
Eine GmbH, jedoch in kollektiver Selbstverwaltung wurde gegründet.
Unterstützer aus der Branche wurden gefunden, oder haben von sich aus
Hilfe angeboten. Vorstandsmitglieder eines Händlerverbandes kamen auf
uns zu, die Zahl 20.000 Fahrräder im Jahr zu produzieren und zu
vertreiben schwebte das erste mal durch den Raum. Kontakte zu einer
zweiten Händlervereinigung und zu Materiallieferanten wurden geknüpft.
Es stellte sich die Frage nach dem Produktionsstandort. Der alte
Standort bestand nach Abzug von Insolvenzverwalter und
Insolvenzverwerter nur noch aus Müllbergen. Wir standen vor den Ruinen
unserer Existenzen und dennoch wurde in Fleißarbeit das Nötigste wieder
hergerichtet, produktionsnötige Maschinen und Anlangen, teilweise auf
abenteuerliche Weise, wieder besorgt und installiert.
Der symbolische Produktionsstart erfolgt zum 1. Mai. Bis Ende Juni
sollen dann 2.000 Fahrräder der Marken "Volksrad" und "Strike Bike"
produziert und vertrieben werden. Anlehnend an das "Strike Bike" haben
wir ein Model mit wesentlich verbesserten Teilen und einem noch
auffälligeren Outfit entworfen.
Wir sind gezwungen, diese 2.000 Fahrräder nochmals gegen Vorkasse über
das Internet zu vertreiben. Vorkasse nur deshalb um Teile des
Materials, wie von vielen unserer Materiallieferanten bei Lieferungen
an Neukunden gefordert, vorfinanzieren zu können. Der Gewinn aus dieser
Aktion soll außerdem dazu dienen, eine Laufradfertigungsstrecke der
ehemaligen Bike-Systems Nordhausen von einem Maschinenhändler aus
Ungarn zurückzukaufen. Bis zum Rückkauf dieser für uns so wichtigen
Anlagen müssen wir alle benötigten Laufräder kostenintensiv außerhalb
produzieren lassen. Auch diese Arbeitsplätze wollen wir wieder in
Nordhausen installieren.
In der weiteren Zukunft soll dann nur noch für den Fahrradfachhandel in
Verbindung mit zwei Fahrradfachhändlervereinigungen und für
Lohnaufträge produziert werden.
Der Neustart der Produktion von Fahrrädern in Nordhausen ist für uns
wie eine "Auferstehung aus den In-West-Ruinen" einer 22-jährigen
Tradition. Zum Neubeginn unserer beruflichen Tätigkeit benötigen wir
jedoch dringend Eure Hilfe.
2.000 Fahrradbestellungen unseres Internetmodells bis zum 30.06.2008
sind für uns äußerst wichtig, um wie geplant vorerst 21 Arbeitsplätze
in unserer strukturschwachen Region schaffen und erhalten zu können.
Langfristig möchten wir möglichst vielen, von unseren ehemaligen
Mitarbeitern, wieder eine berufliche Perspektive bieten können. Viel zu
viele sind immer noch vom Sozialgau bedroht.
Der Sommer mit hoffentlich schönem Wetter steht vor der Tür - Zeit zur
sportlichen Betätigung - Zeit zum Fahrrad fahren. Ihre Entscheidung für
unsere Internet-Aktionsfahrräder "Volksrad" und "Strike Bike" würde uns
den Weg in eine sichere berufliche Zukunft und in eine soziale
Sicherheit erleichtern.
Und eines können die 21 neuen Mitarbeiter den Käufern der Fahrräder der Marken "Volksrad" und "Strike Bike" versprechen:
Sie werden die Leidenschaft, mit der wir Fahrräder bauen, auf jedem
Meter Fahrt mit Ihrem neuen Bike, einem echten Hingucker", spüren. Sie
werden Ihr Fahrrad lieben. Billige Containerfahrräder, produziert von
gefrusteten Billiglöhnern, sind nicht unser Ding.
Wir fühlen uns nicht nur als Exoten im deutschen Fahrradmarkt. Unsere
Beharrlichkeit bei der Rettung unserer Arbeitsplätze und die Gründung
einer GmbH in kollektiver Selbstverwaltung hat uns zu Exoten gemacht.
Ist die Zeit dazu reif in Deutschland ???
Strike Back - die Rückkehr des Strike Bike eine Erfolgsstory nach Abzug der Heuschrecken(7) und der Ohnmacht mancher(8) Politiker.
Genau diesen Politikern wollen wir sagen: "so wie internationalen
Finanzspekulanten mit den sozialen Existenzen von Menschen umgehen, so
haben wir Angst vor der Zukunft. Nur Dollars anbeten, und jegliche Form
deren Vermehrung zu legalisieren, dass kann nicht alles sein.
Die Nordhäuser Fahrradwerker bitten für diesen ersten Schritt ihrer
Selbstverwaltung um Ihre solidarische Unterstützung, und besonders den
Fachhandel bitten wir um Verständnis und um Unterstützung für diese,
für unseren Produktionsstart so wichtige, Internet- und
Endverbraucheraktion.
Und nochmals: - Ist die Zeit in Deutschland reif genug für eine
derartige Protestproduktion und deren solidarische Unterstützung ???
Informationen erhalten Sie unter www.strike-bike.de
Zu erreichen sind wir unter
Tel: 0173 3907544 oder 0172 5730284
Fax: 03631 472625,
oder per E-Mail unter: strikebikendh@aol.com oder fahrradwerk@gmx.de
Danke,
Ihre 21 Nordhäuser Strike Biker
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Einige Notwenige Kommentare
(1) Trotz intensiver Aufklärung durch die FAU-IAA, scheinen die KollegInnen, aus welchen Gründen auch immer, das Bild der "Heuschrecke" benutzen zu müssen. Schon während unserer nicht unerheblichen Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Produktion des >Strike Bikes< wiesen wir immer wieder darauf hin, wie die Tatsächlichen Verpflechtungen sind. Mal ganz davon abgesehen, das ein solches Bild keinerlei Erkenntnis bringt, sondern am Kern kapitalistischer Wirtschaftordnung vorbei läuft.
(2) Offensichtlich scheint die bevorzugte Lektüre der KollegInnen nicht die >Direkte Aktin< oder die >Contraste<, sondern die >Bild< zu sein. Anders kann ich mir den Namen "Volksrad" nicht erklären!
(3) Hm, "verträglich"? - Hier hätte es besser vertraglich geheißen!
(4) siehe (1)
(5) Leider vergessen die KollegInnen an dieser Stelle zu erwähnen das die Idee zur Produktion von Cafe Libertad und der FAU-IAA an die kämpfenden ArbeiterInnen herangetragen wurde.
(6) Hier handelt es sich u.a. um die FAU-IAA. Wir haben im Zuge unserer Unterstützung der ArbeiterInnen nicht nur die Homepage (strike-bike.de) aufgesetzt, sondern auch den Kontakt Radspannerei in Berlin hergestellt. Insgesamt haben FAU-IAA und Cafe Libertad mehr als 300 Fahrräder abgenommen. Rechnen wir all die Fahrräder hinzu die durch GenossInnen aus den Schwestergewerkschaften der IAA gekauft wurden kommen wir auf noch höhere Zahlen. Nicht zu vergessen das die Internationale Kampagne dank der FAU nicht nur von der IAA sondern auch von der IWW und vielen weiteren revolutionären syndikalistischen und unionistischen Organisationen getragen wurde - und das GLOBAL von Europa über Amerika und Afrika bis hin nach Asien und Australien!
(7) siehe (1)
(8) "mancher" kann an dieser Stelle getrost gestrichen werden. Mehr als warme Worte und einen feuchten Händedruck hatten die Herren und Damen aus der Politik nicht zu bieten!
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