Kiel: Sozialpartnerschaftlicher Militarismus und syndikalistische Kritik
Mit dem Kieler Oberbürgermeister und SPD Landtagsspitzenkandidat Albig
und dem CDU Fraktionschef Kruber an der Spitze demonstrierten
vergangenen Freitag laut Kieler (quasi) Monopolpresse KN 1 000 Menschen
gegen die im Zuge der Bundeswehrreform geplante Stilllegung des
Marienearsenals in Kiel bis spätestens 2017. Die Bundeswehr, und
speziell die Marine, erfährt derzeit einen Umbau weg von einer breit
aufgestellten Verteidigungsarmee im Geiste des kalten Krieges hin zu
einer hoch spezialisierten Dienstleistungsarmee im Interesse der
deutschen Wirtschaft und dem Prestige der BRD: Handelswege und Märkte
(Horn von Afrika, Balkan) und politisches Gewicht (etwa der
Marineeinsatz in den internationalen Gewässern vor Libanon &Israel
oder der Luftwaffen- und Heereseinsatz in Afghanistan mit dem
verbundenen Geltungsanspruch der BRD u.a. im Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen). Aus rein militärtaktischer Sicht hatte sich das
breit aufgestellte Konzept der Bundeswehr schon längst überlebt, doch
sowohl zu Gunsten einer staatlichen Arbeitsmarktpolitik wie auch einer
konservativen militaristischen Ethik – vor allem hinsichtlich des
Grundwehrdienstes und der preußisch-militärischen Tradition – war bis
lang im Wesentlichen an den alten Strukturen festgehalten worden. Wie
es 2003/2004 passender Weise die Sozialdemokratie war, die den alten
Sozialstaat zerschlug, ist es nun die Chrisdemokratie, die – unter dem
Druck der Haushaltskonsolidierung - das deutsche Militär von Grund auf
neustrukturiert.
Das Militär ist ein ökonomisch vielfältig
ausgeprägter Sektor: In ihm vereinigen sich industrielle Produktion,
staatliche Angestelltenverhältnisse, zivile Dienstleistungen,
politischer Komplex. Hinzu kommt die wirtschaftliche Nutznießung sowohl
von Großindustrie (ThyssenKrupp, Siemens, Telekom u.a.) sowie kleineren
Gewerbetreibenden in der Nähe von Standorten (Gastronomie, Handel,
Vergnügungsindustrie). Das nun angesichts der Schließung bzw.
Beschneidung vieler Standorte Lokalpolitik und DGB Gewerkschaften
aufschreien ist daher nicht erstaunlich. Das Land Schleswig-Holstein,
auch „Flugzeugträger Deutschlands“ genannt, ist hier besonders
betroffen, und so konkurrieren nun Kleinstädte wie Lütjenburg mit
Ballungszentren wie Lübeck oder Kiel um den Erhalt der Standorte.
Dass
vor dem Hintergrund der Abhängigkeit von Lohnarbeit sich in den letzten
Jahrzehnten viele Menschen in irgendeiner Weise mit einer Tätigkeit für
und um das Militär über Wasser hielten, ist selbsterklärend. In Kiel
rührte nun die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di die Alarmglocken
angesichts der Schließung des (hauptsächlich zivil betriebenen)
Marinearsenals. Welche Optionen hat eine Gewerkschaft in solch einer
Situation? Ver.di wählte einen Weg, der in gewisser Weise als „üblich“
bezeichnet werden kann: Nicht die Abhängigkeit der Beschäftigten von
der Produktion im Sinne der EignerInnen der Produktionsmittel – in
diesem Fall der Staat – wird problematisiert, sondern stattdessen wird
komplett aus der Sicht der Produktionsziele argumentiert. So
insistierte ver.di im Aufruf zur Demo:
„Das Marinearsenal -
Arsenalbetrieb Kiel erbringt in hoch zuverlässiger Form und Qualität
die erforderlichen Dienstleistungen, u.a. Reparatur, Instandhaltung,
Wartung und Erprobung, für die Marine. Auf diese Dienstleistungen wird
die Marine zur Sicherung des breiten Fähigkeitsprofils auch weiterhin
zwingend angewiesen sein.“
Ver.di geht hier also auf den Charakter
der Bundeswehr im Jahr 2011 ein versucht über die Logik einer im
Interesse der deutschen Wirtschaft schnell und flexibel einsetzbares
Militär die Erhaltung des Standortes zu begründen. Und nicht nur mit
den militärischen, auch mit den politischen Zielen der
Haushaltskonsolidierung setzt sich ver.di in positiver Ausrichtung
auseinander:
„Wenn das Marinearsenal - Arsenalbetrieb Kiel
aufgelöst wird, dann muss die Marine diese erforderlichen
Dienstleistungen sehr, sehr viel teurer durch private Vergabe
einkaufen.“
Es sind also gemäß ver.di sowohl Gesichtspunkte
der militärischen Leistungsfähigkeit wie auch finanzielle Aspekte,
weshalb der Standort Kiel – im Gegensatz zu anderen – von der
Streichliste des Verteidigungsministeriums in Berlin getilgt werden
sollte:
„Das Marinearsenal - Arsenalbetrieb Kiel kann die für
die Marine wichtigen Dienstleistungen in exzellenter Form am Besten und
am Preisgünstigsten sicherstellen und erledigen - deshalb muss dieser
Betrieb, müssen die Ausbildungs- und Arbeitsplätze erhalten bleiben.“
Ver.di
als Think Tank der Bundeswehr? Tatsächlich tauchen das Schicksal und
die Perspektive der Beschäftigten im Aufruf von ver.di so gut wie gar
nicht auf. Die dominanten Argumentationsgrößen sind durchweg von
militärtaktischer und finanzpolitischer Natur. Damit sichert sich
ver.di die Anschlussfähigkeit der Politik, wie durch die Partizipation
von Albig und Kruber an der Demonstration deutlich wurde.
Kritik
an solch einer gewerkschaftlichen Methode wurde indes von Seiten der
basisdemokratischen Gewerkschaft FAU (Freie ArbeiterInnen Union) in
Kiel artikuliert. Formell wurde sich zunächst am universellen
Vertretungsanspruch von ver.di und dem DGB gestört, welche
formulierten, alle gewerkschaftlichen Kräfte der Stadt hinter sich zu
wissen. Hingegen distanzierte sich die FAU Kiel deutlich von der
Demonstration und bezeichnete diese als „promilitaristisch“. Einige
dieser Gewerkschaft kritisierten in einem Gespräch die „totale
Verinnerlichung der Produktionsziele der Bosse“, welche ver.di in dem
Aufruf zur Demonstration offenbare. Die angesprochenen Mitglieder der
FAU Kiel zogen Parallelen zur Argumentationstaktik der DGB
Gewerkschaften in der Privatwirtschaft, die oftmals mit der
Profitfähigkeit von Betrieben und Belegschaften aufwarte, anstatt den
tatsächlichen Charakter von Profitgewinnung offenzulegen: Die
Ausbeutung von Arbeitskraft durch die Abschöpfung des erwirtschafteten
Mehrwertes von Arbeit. In der Rüstungs- und Kriegsindustrie, werde, wie
es auch in der offiziellen Stellungnahme der FAU Kiel zu lesen war,
„die Perversion dieser Denkart“ deutlich, wenn Gewerkschaften wie
ver.di sich unter Anbiederung an den Militarismus von der Tradition der
internationalen Solidarität – welcher die Armeen der Nationalstaaten
feindlich entgegenstehen - endgültig verabschiedeten. Die
gesellschaftliche Verantwortung von Gewerkschaften bei dieser Thematik
werde auch hinsichtlich des durch die Politik vorangetriebenen
Einsatzes der Bundeswehr im Inneren, wie z.B. während des G8 Gipfels in
Heiligendamm, offensichtlich, wie die FAU Kiel in ihrer offiziellen
Stellungnahme hervorhob.
In der Marine- und Rüstungshochburg
Kiel sind viele Menschen direkt und indirekt vom Militär abhängig. Dies
erzeugt, wie es ver.di und die SPD Schleswig-Holstein gezeigt haben,
auch einen gesellschaftlichen Militarismus. Analog dazu gab es in Kiel
vor allem von autonomer, aber auch parteikommunistischer Seite schon
immer antimilitaristische Kampagnen und Positionierungen. Nun wurden
erstmals seit langem Antimilitarismus und gewerkschaftliches Engagement
in der Kritik der FAU Kiel zusammengebracht. In dieser wird zudem die
Hoffnung ausgedrückt, dass sich über die FAU Kiel und die linke Szene
hinaus auch weitere GewerkschafterInnen dem Widerspruch gegen den
Militarismus bei ver.di und Co anschließen werden. Wir dürfen gespannt
sein.
Zitatnachweise:
Aufruf ver.di zur Demo: https://kiel-ploen.verdi.de/chronik/2011/20111111
Kritik der FAU Kiel: http://www.fau.org/ortsgruppen/kiel/art_111111-111847
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