Kein Plan. Kein Ziel? Wohin bewegen sich die Studiproteste in Duisburg-Essen?
Wie fing alles an?
Die Universität Duisburg-Essen ist
eigentlich keine besonders „politische“ Universität. Es gab zwar immer
wieder Proteste z.B. gegen die Einführung der Studiengebühren und der
Bachelor-/Master-Studiengänge, um 2006, in deren Folge das Rektorat
besetzt wurde1. Die letzte „Streikwelle“ ging aber fast spurlos an
unserer Universität vorbei. Erst dieses Jahr hat sich die Situation
verbessert, in erster Linie durch das Engagement der „AG
Bildungsstreik“, eine der wenigen Gruppen, die sich an unserer Uni
überhaupt mit dem Bildungsstreik auseinandergesetzt hat.
Die durch den AStA einberufene Vollversammlung am 10. November war von
den Organisatoren eigentlich ganz anders geplant: Aus einer internen
Mail eines AStA-Referenten ging hervor, dass der „AG Bildungsstreik“
der Wind aus den Segeln genommen werden sollte: „[…]
getreu dem Bismarkschen Motto: „lieber [!] Revolution machen, als
Revolution erleiden“ nimmt der AStA jetzt das Heft in die Hand.“ Ein möglicher Bildungsstreik (oder ähnliche Aktionen) sollte dadurch verhindert werden: „Es darf […] nicht zu nachhaltigen Behinderungen des Universitätsbetriebs kommen“, es sollte lediglich „ein Forum zur Information, Kommunikation und Diskussion“ geschaffen werden.
Irgendwie kam es dann doch anders. Auf den Vollversammlungen in Duisburg und Essen gab es recht harsche Kritik am Vorgehen des AStAs, in viele Redebeiträgen wurde Solidarität mit den kämpfenden Studierenden weltweit eingefordert, sowie die Beteiligung an der Protestbewegung mittels eigener Aktionen. Letztendlich stimmte die überwältigende Mehrheit der Anwesenden (sowohl in Duisburg als auch in Essen) einer Besetzung des jeweiligen Audimaxes zu.
Die Proteste und was da schief lief
Unmittelbar
nach den Vollversammlungen wurden das Audimax in Duisburg und das in
Essen besetzt. Bis zum darauffolgenden Freitag (14.11) hielt die
Besetzung an. Am Freitag Abend folgten die BesetzerInnen – mehr oder
weniger – dem Ultimatum des Rektors und lösten die Besetzung friedlich
auf.
Wir wollen an dieser Stelle nicht groß auf den verschiedensten Sachen,
die wir kritisch sehen, herumreiten, da wir in erster Linie an der
Diskussion über die Zukunft unserer Aktivitäten interessiert sind.
Einige Dinge müssen dafür aber einfach mal genannt werden:
Der Rektor, unser bester Freund?
Dem Rektor wurde deutlich zu viel Platz zugestanden. Die
Podiumsdiskussion, am Mittwoch, kann als kreative Aktionsform
vielleicht noch durchgehen, allerdings haben wir dadurch auch nichts
Neues -außer den üblichen Beschwichtigungen- gehört. Uns ist es absolut
schleierhaft, wieso der Rektor trotzdem zur Pressekonferenz der
BesetzerInnen eingeladen wurde! Dadurch haben wir ihn in seiner Rolle
sowohl gestärkt, als auch legitimiert!
Entscheidungsfindung und Struktur
Ohne einen (transparenten) Beschluss konnte sich eine Art
„SprecherInnenrat“ bilden. Dadurch, dass ein Kommilitone größtenteils
die Moderation übernahm, wurde dieser sowohl von den Medien als auch
von vielen Studierenden als Sprecher wahrgenommen. In Zukunft sollten
wir gegen solche Entwicklungen stärker ankämpfen, auch sollten wir uns
weder zurücklehnen und Arbeit auf „SprecherInnen“ etc. abwälzen, noch
sollten wir andere in diese Rollen zwingen oder diese zulassen.
Desweiteren wurden so gut wie alle Entscheidungen durch einfache
Mehrheitsabstimmungen gefällt. Wenn wir eine „Demokratisierung der
Universität“ einfordern, sollten wir uns auch überlegen, wie wir unsere
internen Entscheidungsprozesse möglichst demokratisch gestalten können.
Konsensentscheidungen wären dafür besser geeignet.
Bildung im luftleeren Raum?
Die Kritik der Protestierenden hebt immer wieder in ihren Forderungen
und Slogans den Begriff einer alles umfassenden, neutralen,
unbeeinflussten Bildung hervor. Diesen Bildungsbegriff halten wir für
problematisch:
Bildung muss immer im gesellschaftlichen Rahmen gedacht werden. Im
Kapitalismus muss Bildung zwangsläufig die Wirtschaft mit einbeziehen
sonst würde sie ihren Zweck (= Schaffung von gebildeten ArbeiterInnen)
nicht erfüllen.
Bildung ist deshalb immer auch Produkt der herrschenden Verhältnisse.
Im Zeitalter der Industrialisierung beispielsweise wurden andere
Inhalte hervorgehoben als im 3. Reich. Die Bildungssysteme waren schon
immer den Einflüssen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Sphären ausgesetzt.
Fordern
wir also wirklich eine Nicht-Beeinflussung des Bildungssystem durch die
Wirtschaft, oder stört uns die Art und Weise, wie die Wirtschaft
organisiert ist? In einer emanzipatorischen Gesellschaft muss doch auch
die Art und Weise des Wirtschaftens emanzipatorisch organisiert werden.
Oder, um es auf den Punkt zu bringen: Bleibt die „neue“
Studentenbewegung dabei, nur mit Worthülsen um sich zu werfen oder
beginnt sie, sich und ihre Kritik in einen breiteren,
gesamtgesellschaftlichen Kontext einzuordnen?
Für Bildung brauchen wir weder eine Universität, noch einen Staat! Und
wir brauchen dafür auch keine Sitzbänke! Umso trauriger finden wir es,
dass die Chance zur selbstorganisierten Bildung während der Besetzung
so gut wie gar nicht wahrgenommen wurde.
Die bösen Radikalen?
Auch jetzt können wir das Geschreie von Weitem hören: AnarchistInnen!
SyndikalistInnen! Radikale! In den letzten Wochen mussten wir leider
immer wieder feststellen, dass die Akzeptanz für Positionen die über
den üblichen (und ehrlich gesagt oft todlangweiligen) Protestzirkus
hinausgehen, sehr niedrig ist. Viele Leute, die jetzt vielleicht zum
ersten Mal überhaupt auf Demos gehen und an den Aktionen teilnehmen
(und natürlich die „politische Elite“ um die etablierten Parteien),
grenzen sich geradezu beißreflexartig von Allem ab, was radikal
erscheint.
Dabei scheinen Viele gar nicht so recht zu wissen, vor was sie da
eigentlich Angst haben. Wir alle haben so angefangen, wie Viele es
jetzt tun. Irgendwann haben wir festgestellt das uns verschiedenste
Sachen nicht gefallen, dass wir uns nicht mit den gegebene Umständen
zufrieden stellen lassen. Irgendwann haben wir für uns festgestellt,
dass viele Dinge, die uns missfallen, nur Teile von etwas Größerem
sind. Das größere Ganze können wir für uns als Staat und Kapital
benennen.
Radikal zu sein hat nichts mit Gewalt zu tun.
Radikal zu sein bedeutet, die Probleme, die wir sehen, nicht
oberflächlich zu behandeln. Radikal zu sein bedeutet, die Gründe für
diese Probleme zu suchen und an der Wurzel (= lat. radix) dieser
Probleme anzupacken.
Radikal zu sein bedeutet, sich nicht auf PolitikerInnen, RektorInnen oder sonstige Herrschaften zu verlassen.
Wir sind Studierende, wie alle anderen auch. Wir sehen uns als Teil der Bewegung, werden uns aber auch nicht länger in die Anonymität zurückziehen, wie wir es in den letzten Woche getan haben. Und wir fordern, auf gleicher Augenhöhe diskutieren zu können. Lasst eure Vorurteile da wo sie hingehören: Auf dem Müllhaufen!
Das Konzept Bildungsstreik ist zum Scheitern verurteilt!
Der Bildungsstreik ist in erster Linie ein Event. So viel, aber mehr auch nicht.
Dieser Event-Charakter ist, wenn überhaupt, dazu geeignet
Öffentlichkeit herzustellen. Es bleibt aber dabei: Alle paar Monate
wird für ein paar Aktionen mobilisiert, das raubt enorme Kräfte und
über die Aktionswochen hinaus geschieht wenig Langfristiges. Die
Bewegung in Duisburg-Essen zumindest scheint uns zur Zeit in einen
beinahe wahllosen Aktionismus zu verfallen.
Keine Alternativen?
Doch.
Wir denken, es muss Alternativen geben zu einem ziellosen Aktionismus.
Zumindest wir wollen uns nicht mit einer eventuellen Bafög-Erhöhung
oder Gesprächsbereitschaft des Rektors oder einer transparenteren
Ausgabe der Studiengebühren abfinden. Wir wollen uns allgemein darüber
Gedanken machen, wie und was wir lernen und vor Allem, wie wir leben
wollen.
Was wir brauchen sind langfristig angelegte, basisdemokratische
Strukturen an den Universitäten und auch in allen anderen Teilen
unseres Lebens.
Wir brauchen Basisgruppen in den verschiedenen Studiengängen, die
zusammen ein starkes, solidarisches und kämpferisches Netzwerk bilden!
Nur so können wir uns von den eingefahrenen Strukturen wie dem AStA und
den vielen Ausschüssen, in denen wir als Studierende sowieso kaum etwas
zu melden haben, emanzipieren!
Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass sich „schon was
bewegt, wenn wir laut genug sind“, das wird nur zu einem endlosen
Aktionsmarathon führen, an dessen Ende entweder viele Leute ausgebrannt
sind oder sich zurückziehen „weil es ja eh nix bringt“.
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