Kassel: Erfolgreiche Konferenz für gewerkschaftliche Aktionsfreiheit
Block 1
Die Konferenz bestand aus mehreren Themenblöcken, gleich nach der
Begrüßung gab es das Highlight des Tages, der Kollege Wolfgang Däubler
- einer der führenden Arbeitsrechter dieses Landes - stellte in einem
tollen Vortrag seine politisch-gewerkschaftliche Einschätzung zur
Gesetzesinitiative von DGB/BDA zur Tarifeinheit vor. Dabei gab es eine
Reihe von Detailinformationen, die hoch interessant waren.
So wußten sicherlich nicht viele Menschen, dass bei den
Geheimverhandlungen von ver.di, IGM und IG BCE mit den Arbeitgebern
(BDA, Metall und Chemie) nur die Vorsitzenden der beteiligten
Gewerkschaften involviert waren. Selbst die Vorstandsmitglieder wussten
nicht, was da vereinbart werden sollte, als die Informationen dann
durchsickerten, haben aber alle Vorstandsmitglieder die Sache
geschluckt und sich nicht getraut zu opponieren.
Die Vorsitzenden der übrigen DGB-Gewerkschaften waren ebenfalls nicht informiert und durften ebenfalls nur abnicken.
Block 2
Nach einer längeren Diskussion sollten dann die anwesenden (nicht-DGB)
Gewerkschaften ihre Einschätzung zum Thema Tarifeinheit und zu eingen
vorab gestellten Fragen darstellen.
Es begann mit dem Bericht eines Kollegen von der GDL-Verkehrsbetriebe
aus München über die Tarifverhandlung bei den Münchner
Verkehrsbetrieben. Der Arbeitgeber bezahlt in dem speziellen
Tarifvertrag einen Zuschlag von 50 Euro monatlich, wenn der/die
Betroffene ver.di beitritt und damit der spezifische Tarifzusatz gilt
(...).
Den anschließenden Beitrag von der FAU wollen wir hier ausführlicher wiedergeben, da er uns schon vorliegt:
»Ich sollte eigentlich beschreiben, wie wir in der FAU die DGB/BDA
Initiative (zur Einschränkung des Streikrechts) einschätzen. Während
dem wunderbaren Beitrag von Wolfgang Däubler und der anschließenden
Debatte habe ich festgestellt, dass unsere Einschätzung weitgehend mit
dem Gesagten übereinstimmt. Ich möchte daher nur ein paar Punkte
ergänzen.
Wenn Beschäftigte oder eine Gewerkschaft sich in einem Arbeitskampf für
Verbesserungen ihrer Lebenssituation befinden, finden sie unsere
Unterstützung. Das gilt selbstverständlich auch für die
Spartengewerkschaften, die in den letzten Jahren wieder etwas Leben in
die sonstige Friedhofsruhe der Arbeitswelt gebracht haben.
...Die Initiative von DGB und BDA war für uns ein existentieller
Angriff auf das Streikrecht, die Koalitionsfreiheit und auf die
Tarifautonomie.
Der DGB wollte dadurch sein bröckelndes Monopol vor unliebsamer
Gewerkschaftskonkurrenz schützen und die Arbeitgeber sich die Ruhe in
den Betrieben und dadurch niedrige Löhne sichern.
Der Bundesregierung passte der Vorstoß, weil er ihre aggressive
Standortpolitik, die auf Niedriglöhnen und geringen Streiktagen
basiert, unterstützte. Die Interessen der Beschäftigten blieben dabei
auf der Strecke.
...Aber das Auseinanderfallen der DGB/BDA-Initiative ist aus unserer
Sicht nur ein Etappensieg. So haben wir an diesem Punkt auch eine
andere Einschätzung, als der Kollege Däubler. Wir erwarten weitere
Angriffe auf das Streikrecht. Interessierte Kreise aus Politik und
Wirtschaft diskutieren weiterhin Mittel und Wege, das Streikrecht
einzuschränken - etwa durch obligatorische Schlichtungsverfahren.
In einem der Rechtsgutachten
zur "Tarifeinheit" - es war vom Wirtschaftsministerium (BMWI) beim RWI
in Essen in Auftrag gegeben und ist im Internet verfügbar - hatten
Wissenschaftler bereits dargelegt, dass der Gesetzentwurf von DGB/BDA
ungerechtfertigt, voreilig und falsch sei und sie beschrieben, welche
anderen effektiven Mittel es zu gegebener Zeit zur Beschränkung der
Rechte von Gewerkschaften gäbe.
Auch die Vorstände von IG Metall, ver.di und IG BCE halten die
Initiative für die "Tarifeinheit" weiterhin für richtig und werden
versuchen, sie auf anderen Wegen durchzusetzen.
...Nach unserer Erfahrung war ein zentraler Punkt der Niederlage der
Gewerkschaftsführungen die Tatsache, dass sich die DGB-Spitze mit den
Unternehmerverbänden zusammengetan hat, um sich auf eine Einschränkung
des Tarif- und Streikrechts zu verständigen. Das war für die Mitglieder
inakzeptabel.
Auf einer Reihe von Diskussionsveranstaltungen der FAU mit Vertretern
von ver.di und der IGM kam das deutlich zum Vorschein. Denn häufig
wurde nur der Weg sich das Gewerkschaftsmonopol zu sichern kritisiert,
nicht aber das Ziel!
Auf diesen Veranstaltungen kam auch immer wieder die These von einem
Kuchen auf, der bei Arbeitskämpfen zu verteilen wäre. Wenn sich Berufs-
oder Spartengewerkschaften höhere Löhne erkämpfen würden, bliebe für
die anderen Beschäftigten weniger übrig. Die Erkenntnis, dass dort wo
ein Kuchen ist, meistens auch eine Bäckerei sein muß, in der man sich
bedienen kann, hat sich noch nicht überall herum gesprochen.
...Im Zuge der kommenden Auseinandersetzungen wollen wir von der FAU
uns verstärkt für das uneingeschränkte Streikrecht einsetzen.
Das Recht auf Arbeitsverweigerung ist aus unserer Sicht Teil der
persönlichen Selbstbestimmung und von daher ein grundsätzliches
persönliches Menschenrecht, auch wenn es erfolgreich nur kollektiv
ausgeübt werden kann.
Ein solches uneingeschränktes Recht auf Streik kann nicht auf
wirtschaftliche oder tarifliche Auseinandersetzungen beschränkt sein,
sondern muss auch sogenannte "politische Streiks" umfassen. So zielt
unser Interesse nicht nur auf die volle gewerkschaftliche
Aktionsfreiheit ab, sondern ebenso auf ein umfassendes und
unantastbares Recht auf Streik für alle abhängig Beschäftigten selbst,
egal ob und wo sie gewerkschaftlich organisiert sind, oder auch nicht.
Dass dieses Recht nicht von Regierungen, Parteien oder Gerichten
erbettelt werden kann, sondern durch die Praxis erkämpft und
durchgesetzt werden muss, ist uns klar.
Wir würden uns freuen, wenn diese Gedanken von anderen geteilt und in zukünftige Kämpfe eingebracht würden.«
Abgeschlossen wurde dieser Themenblock mit einem Kurzreferat von Samuel
Greef, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter der GH Kassel: "Warum sind
unabhängige Berufsgewerkschaften entstanden?"
Block 3
Der Nachmittag begann mit einem Einleitungsreferat von Willi Hajek, 10
Thesen zur Einleitung der Diskussion über "volle gewerkschaftliche
Aktionsfreiheit", was das bedeutet und wie wir in Zukunft weiter daran
arbeiten können. (Text im Anhang)
Die anschließende Diskussion erfolgte in Arbeitsgruppen, die sich auch
mit dem Entwurf einer Abschlusserklärung befassten. Später wurden die
Ergebnisse im Plenum zusammengefasst und die finale Fassung der
"Kasseler Erklärung" einstimmig angenommen. (Text im Anhang)
Ebenfalls einstimmig verabschiedet wurde eine Solidaritätserklärung mit
den Beschäftigten der Charité Facility Management GmbH (CFM) in Berlin,
die sich im Arbeitskampf befinden.
Weitere Informationen werden in den nächsten Tagen auf http://tagungtarifeinheit.wordpress.com oder bei http://www.labournet.de/GewLinke/ zu finden sein.
Tarifeinheit: 10 Thesen von W. Hajek
These 1:
Die DGB - Gewerkschaften und speziell die IG-Metall hatten immer ihre
Schwierigkeiten mit kritischen organisierten Minderheiten. Mit
Gewerkschaftsausschlüssen wurde und wird versucht, die Einheit von oben
wiederherzustellen. Demokratische Kultur ist bis heute ein Fremdwort
geblieben in den DGB-Apparaten, ein gutes Beispiel sind die
alternativen Metaller in Kassel, seit einem Jahrzehnt kritische
Opposition gegen den Anpassungskurs der Mehrheitsbetriebsräte bei
Mercedes, nach jeder Betriebsratswahl wieder mit Ausschlüssen bedroht.
These 2:
Die realen Arbeitsprozesse und die Bedingungen der Lohnarbeit haben
sich weitgehend zu Ungunsten der abhängig Beschäftigten im letzten
Jahrzehnt stark verändert. Prekarisierungsprozesse und Leiharbeit haben
zugenommen, die Konkurrenz untereinander wie auch die Vereinzelung im
Arbeitsprozess und drohende Entwertungen der Arbeitskraft sind zu einer
großen Belastung geworden. Das Leiden bei der Arbeit, das burn-out, ist
ein alltägliches Phänomen. Dieser Prozess stellt ganz neue
Anforderungen an gewerkschaftliches Handeln, das Bedürfnis aber nach
Gegenwehr und kollektivem Handeln ist nicht kleiner geworden.
These 3:
Beispiel bei der Deutschen Bahn : schon lange bestand und besteht unter
den EisenbahnerInnen eine große Unzufriedenheit mit der
mitgliederstärksten ehemaligen Gewerkschaft Transnet. Diese
Gewerkschaft und ihr ehemaliger Vorsitzender Hansen trugen alle
Belastungen der Eisenbahner mit, blockierten mit allen Mitteln die
Gegenwehr. Jede Tarifrunde, zumeist als Geheimverhandlungen
veranstaltet, vergrößerte die Unzufriedenheit unter den BahnerInnen und
führte zu Übertritten in Spartengewerkschaften wie die GDL. Die GDL,
überwiegend Lokführer und Zugbegleitungspersonal organisierend, wurde
populär nicht nur durch konkrete Forderungen wie nach Verkürzung der
Arbeitszeit, sondern auch durch die Forderung nach Transparenz und
Öffentlichkeit der Verhandlungen. "Wenn es um unsere existentielle
Situation geht, dann wollen wir einbezogen werden und mitentscheiden"
(Meinung vieler streikender Eisenbahner). Die Spartengewerkschaften
haben schon eine lange Geschichte, wurden aber zumeist kaum in der
gewerkschaftlichen Öffentlichkeit wahrgenommen.
These 4:
Ähnliche Entwicklungen wie in der BRD haben wir auch in anderen
westeuropäischen Ländern. Basisgewerkschaften wie die Sud-Solidaires in
Frankreich, die CNT und die CGT in Spanien und die CUB und Cobas und
einige andere in Italien sind ein lebendiger und dynamischer Faktor in
der europäischen Gewerkschaftslandschaft.
These 5:
Die etablierten Gewerkschaften sind unfähig, diese Situation zu
analysieren und ihre Praktiken zu ändern. Ihre Antwort ist die
Orientierung auf den Staat und die herrschenden Parteien, um durch
gesetzliche Maßnahmen die Streikrechte und die Mobilisierungsfähigkeit
der Minderheits-, Sparten- oder Basisgewerkschaften einzuschränken und
zu bekämpfen.
These 6:
Der Streik der GDL 2007 und die Popularität dieses Streiks haben die
Voraussetzungen geschaffen, daß die Existenz von Gewerkschaften
außerhalb des DGB in der weiten gesellschaftlichen Öffentlichkeit
sichtbar wurde. Die heftigen Reaktionen der Gewerkschaft Transnet und
des DGB gegen diesen Streik waren peinlich. Aktive GewerkschafterInnen
innerhalb und außerhalb der DGB-Gewerkschaften organisierten die
Solidarität und wurden teilweise abgemahnt oder mit anderen Schikanen
bedroht (Nicht-Bereitstellen von gewerkschaftlichen Räumen).
These 7:
Vor diesem Hintergrund der zunehmenden Aktivitäten von Gewerkschaften
im Flugverkehr (Piloten, Kabinenpersonal, Flugsicherung) und bei der
Bahn entstand diese Gesetzesinitiative für die Tarifeinheit der
Führungen von ver.di und des DGB, zusammen mit dem BDA und unterstützt
von Konzernen wie der Lufthansa und der Deutschen Bahn..
These 8:
Unterschätzt haben diese Führungen in ihren Bunkern aber die Empörung
und das eigenmächtige Handeln von Basisakteuren, die mit
Veranstaltungen und Solidaritätsaktionen öffentlich tätig wurden. Auch
engagierte Arbeitsrichter stellten sich quer und kritisierten diesen
Angriff auf die Koalitionsfreiheit und das Streikrecht. Unsere
bundesweite Initiative "Hände weg vom Streikrecht - für
gewerkschaftliche Aktionsfreiheit" ist aus diesem eigenmächtigen
Handeln der lokalen Komitees zusammen mit dem Netzwerk der
"Gewerkschaftslinken" entstanden. Gleichzeitig haben sowohl die
Spartengewerkschaften wie der Marburger Bund, die GDL und andere
betroffene Organisationen sich gemeinsam zu einem runden Tisch
getroffen und Aktionen organisiert. Auf Veranstaltungen in Kassel,
München, Berlin und anderswo haben sich Kollegen aus den
verschiedensten Gewerkschaften - von der FAU, über interne
ver.di-Kritiker bis zur GDL- zusammen mit Arbeitsrechtlern getroffen
und gemeinsam überlegt, wie gegen dieses Gesetz zur Tarifeinheit
vorgegangen werden kann. Der Rückzug des DGB aus dieser Initiative ist
ein Erfolg dieser Bewegung. Das bedeutet aber nicht den Verzicht,
sondern nur die momentane Einsicht, daß auf den kommenden
Gewerkschaftstagen, besonders bei ver.di im September 2011, die
"Tarifeinheit" politisch nicht durchsetzbar sein wird.
These 9:
In Zukunft werden sicherlich Streikbewegungen von
Minderheitsgewerkschaften zunehmen, wichtig dabei ist, dass
solidarische Initiativen versuchen, diesen Konflikten eine
gesellschaftliche solidarische Orientierung zu geben und sie nicht
einfach als berufsspezifische Konflikte einengen zu lassen.
These 10:
Perspektiven: Augenblicklich laufen mehrere Konflikte, die uns alle betreffen:
Aktionen auf europäischer Ebene der Piloten gegen die Übermüdung,
geplante neue Flugzeiten-Regelungen mit verminderten Ruhezeiten
Tarifkonflikt der Fluglotsen in der Schlichtungsphase- hier geht es um
festgelegte Zwangsüberstunden (200 Std im Jahr) Tarifkonflikt der GDL
für einen einheitlichen Tarifvertrag bei den Privatbahnen - gleiche
Bezahlung der LokführerInnen.
Andere Konflikte werden kommen und für uns kann es wichtig werden, in
unseren lokalen wie auch bundesweiten Zusammenhängen praktische
Unterstützungsaktionen anzupacken, in denen gerade dieser
gesellschaftliche Zusammenhang solcher berufsbezogenen Konflikte
hergestellt wird z.B. auch Zusammenarbeit mit Nutzerinitiativen und
Komitees wie Bahn für alle usw.
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