Interview mit www.leiharbeit-abschaffen.de
Wie steht ihr zur jüngsten Forderung nach einem Mindestlohn für Leiharbeit?
Wer Mindestlohn in der Leiharbeit fordert, möchte, dass
LeiharbeiterInnen weniger erhalten, als ihnen nach deutschen und
EU-Recht zusteht. In den entsprechenden Gesetzen ist nämlich
festgelegt, dass für LeiharbeiterInnen „Equal Pay“ gelten muss – also
„gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wie die Stammbelegschaften. Diese
gesetzliche Regelung kann allerdings ausgehebelt werden, wenn sich
willige Gewerkschaften finden, die mit den Bossen Tarifverträge unter
dem gesetzlichen Niveau ausdealen. Und die haben sich in Deutschland
schnell gefunden: Sowohl die gelben christlichen „Gewerkschaften“, als
auch die DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit hat solche Dumping-Verträge
abgeschlossen und damit die LeiharbeiterInnen um ihren gesetzlichen
Lohn auf Basis von „Equal Pay“ beklaut. Übrigens nicht nur die
Mitglieder dieser Gewerkschaften, sondern alle LeiharbeiterInnen. Wenn
DGB-Chef Sommer jetzt einen gesetzlichen Mindestlohn für die Leiharbeit
fordern, läuft das darauf hinaus, dass der Staat seinen Gewerkschaften
bei dem von ihnen angerichteten Schlamassel zur Seite springen soll.
Warum glaubt ihr, wollen DGB und die „Bundesvereinigung der
deutschen Arbeitergeberverbände (BDA)“ gemeinsam einen Mindestlohn in
der Zeitarbeit?
Sie wollen gemeinsam die Leiharbeit, also den organisierten
Sklavenhandel, retten, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts
Deutschland zu bewahren. Die deutsche Exportindustrie braucht die
„Flexibilität“, die ihr das Heuern und Feuern von Leiharbeit
ermöglicht. Und sie braucht sie natürlich auch, um den Lohndruck auf
die Stammbelegschaften und Arbeitsverdichtung zu erhalten oder zu
steigern. Damit das so bleibt, müssen Bosse und DGB-Gewerkschaften
verhindern, dass „Equal Pay“ zum Tragen kommt. Da aber die
Mitgliedsgewerkschaftem des DGB in der Leihbranche kaum Mitglieder
haben, ist es fraglich, ob sie ihre Gefälligkeitstarifverträge auf dem
Rücken aller LeiharbeiterInnen auf Dauer aufrecht erhalten können. In
dieser Situation ist ein allgemeinverbindlicher gesetzlicher
Mindestlohn eine prima Waffe zur Sicherung des Niedriglohnniveaus in
der Leiharbeit. Wir reden da ja auch nicht über ein Mindestlohn von €
15,- pro Stunde, sondern über etwas, das allenfalls minimal über den
derzeitigen Dumping-Tarifen liegen wird.
Warum meint ihr, würde ein Mindeslohn die Leiharbeit retten?
Müssten die Firmen die Löhne nach dem gesetzlichen „Equal Pay“ zahlen,
wäre der Großteil der Leiharbeitsbranche rasch am Ende. Das hat zwei
Gründe. Zum einen würden die Lohnkosten den Flexibilitätsvorteil der
Firmen, die Leiharbeit einkaufen, aufzehren. Für die Entleihbetriebe
ist die Leiharbeit ja nicht unbedingt billiger. Wir wissen, dass viele
Sklavenhändler für jeden Euro Lohn, den sie den LeiharbeiterInnen
bezahlen, drei Euro an ihre Kunden berechnen. LeiharbeiterInnen werden
eingesetzt, weil man sie flexibel heuern und feuern kann. Aber es es
gibt für die Entleihbetriebe einen Punkt, wo sich diese „Flexibilität“
finanziell nicht mehr lohnt.
Müssten die Entleihbetriebe mangels Gefälligkeittarifverträgen „Equal
Pay“ bezahlen, bliebe für die Leiharbeitsfirmen nur noch so wenig
übrig, dass die meisten ihr Geschäft einstellen würden. Der zweite
Grund ist, dass bei „Equal Pay“ die Firmen gegenüber den
Sklavenhändlern und diese gegenüber den Leihsklaven offenlegen müssten,
was die Stammbelegschaften verdienen. Dazu wären die wenigsten bereit.
Was sagt ihr zum sprunghaften Anstieg der Leiharbeitszahlen?
Wir haben schon vor einem Jahr, mitten in der ersten Krisenwelle,
gesagt, das die Krise nicht dazu führen wird, dass die Leiharbeit
verschwindet. Wir haben im Gegenteil prognostiziert, dass die Krise zu
einem Boom der Leiharbeit führen wird. Wir sind dafür von manchen
belächelt worden, weil man zu der Zeit überall lesen konnte, dass die
Entleihbetriebe als erstes die LeiharbeiterInnen „abbestellt“ haben und
dann ihre Stammbelegschaften in Kurzarbeit geschickt oder Leute
entlassen haben. Im Juli verkündete nun die Bundesanstalt für Arbeit,
dass mittlerweile jede dritte gemeldete offene Stelle ein Job beim
Sklavenhändler ist. Wir haben ja nicht wirklich Spass daran, dass wir
mit unserer Prognose richtig gelegen haben. Aber wer eins und eins
zusammenzählen kann, musste einfach zu diesem Ergebnis kommen. Die
Wirtschaft ist hochgradig verunsichert und traut dem ganzen Boomgerede
wenig, zumal sich das ja auch nur auf die exportorientierten Sektoren
bezieht, während die ganze Binnenkonjunktur zusammen zu brechen droht,
wenn es ab Herbst darum gehen wird, dass wir die Kosten für die Rettung
des Kapitals bezahlen sollen. Gleichzeitig haben sie gesehen, wie
einfach und elegant man LeiharbeiterInnen wieder los wird, wenn es sich
in den Lagern staut oder die Auftragsbücher leerer werden. Und wie gut
man häufig LeiharbeiterInnen zugleich als Ventil und als
Folterinstrument für die Stammbelegschaften verwenden kann, um
Lohnsenkungen und Arbeitsverdichtung durchzusetzen. Und dann darf man
natürlich nicht vergessen, dass Leiharbeit ja noch in einer ganz andere
Funktion gebraucht wird. Sie ist mittlerweile die schärfste Waffe im
Kampf der Arbeitsagenturen gegen ihre „Klienten“.
Was meinst ihr damit denn ihr von LeiharbeiterInnen als „Waffe“ der Arbeitsagenturen sprecht?
In vielen Arbeitsagenturen ist es mittlerweile der Normalfall, dass man
von dort sofort zum Sklavenhändler geschickt wird. Man könnte fast
meinen, dass in vielen Gebieten die Arbeitsagentur sich nur noch um die
Statistikverwaltung und die Sanktionen kümmert, während sie das
„Vermittlungsgeschäft“ an die lokalen Leiharbeitsfirmen abgetreten hat.
Beide Seiten arbeiten Hand in Hand, wenn es darum geht, die
Arbeitslosen in mies bezahlte Jobs mit miserablen Arbeitsbedingungen zu
pressen und sie zu sanktionieren, wenn sie soviel Würde bewahrt haben,
dass sie es ablehnen, sich auf diese Weise verwerten zu lassen. Deshalb
sprechen wir von einer „Waffe“. Die Leiharbeit ist genauso eine Waffe
gegen unsere Klasse, wie die Hartz-Reformen eine Waffe gegen uns sind.
Alle haben anfangs nur auf den Teil von uns geschaut, der vermeintlich
alleine betroffen – weil gerade arbeitslos – war. Viel zu spät aber
haben viele begreifen, dass das eigentliche Ziel nicht der Teil der
Klasse war, der arbeitslos ist, sondern diejenigen von uns, die man in
den Betrieben und Büros gefügig machen wollte, indem man uns die
anderen quasi als „Folterinstrument“ vor Augen gehalten hat. Frei nach
dem Motto „schau, was dir passiert, wenn du aufmuckst oder mehr Lohn
haben möchtest!“. Nicht nur die Bosse also brauchen möglichst viel
Leiharbeit, sondern auch die Arbeitsagenturen.
Vor rund einem Jahr habt ihr Aktionen unter dem Motto
„Leiharbeit abschaffen – gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gestartet.
Was wollt ihr damit bezwecken?
Unser Anliegen war und ist in erster Linie, uns wirksam gegen unsere
Arbeitsbedingungen in der Leiharbeit zu wehren. Das ist für Leihsklaven
häufig noch viel schwieriger, als für andere ArbeiterInnen, weil viele
von uns ja nur zeitweise in einem bestimmten Entleihbetrieb sind. Dort
ist das dann häufig so organisiert, dass wir von den ArbeiterInnen der
Stammbelegschaft getrennt gehalten werden und dass es schwierig ist,
ins Gespräch zu kommen. Unser Boss ist ja nicht der Boss der anderen,
sondern der Sklavenhändler. Das wichtigste Ziel von „Leiharbeit
abschaffen“ ist also erst einmal, dass es ein Instrument ist, uns zu
organisieren und mit anderen LeiharbeiterInnen in Kontakt zu treten.
Dazu ist es aber häufig nötig, erst einmal Informationen zu verbreiten.
Die wenigsten wissen ja, auf welcher Basis die Leiharbeit seit 2005
massiv ausgeweitet wurde. Und kaum jemand führt sich vor Augen, dass
LeiharbeiterInnen gleich an drei Fronten kämpfen müssen: gegen den
Sklavenhändler, mit den KollegInnen im Entleihbetrieb und auf der
überbetrieblichen Ebene gegen diejenigen Gewerkschaften, die mit ihren
Gefälligkeitstarifverträgen die Ausweitung der Leiharbeit abgesichert
und überhaupt erst möglich gemacht haben. Wir haben seit dem letzten
Sommer u.a. tausende von Flugblättern verteilt und daraufhin extrem
positive Reaktionen erhalten. Den meisten Leuten hat die Kinnlade
geknackt, als sie verstanden haben, was für ein Spiel Politik, Bosse
und Gewerkschaften da mit den LeiharbeiterInnen spielen. Und den
wenigsten LeihsklavInnen, mit denen wir gesprochen haben, war zuvor
klar, dass es sowas wie „Equal Pay“ überhaupt gibt.
Was macht ihr für Aktionen im Rahmen von „Leiharbeit abschaffen“?
Mittlerweile ist es gar nicht mehr so einfach, noch den Überblick zu
behalten. Es gibt Gruppen gegeben, die machen
„Leiharbeits-Stadtrundgänge“. Das bedeutet, dass sie durch ihre Stadt
ziehen, die Leute ansprechen und informieren und an den Leihklitschen
z.B. Redebeiträge halten. In Frankfurt/Main haben wir das sehr
erfolgreich mit bis zu 150 Leuten gemacht. Andere Gruppen haben
Leiharbeitsmessen besucht und dort informiert und kritisch nachgefragt.
Zu diese Messen werden die Arbeitslosen von ihren FallberaterInnen
gepresst und das häufig mit Sanktionsdrohungen. Anderswo werden in
großem Stil Flyer verteilt. In einer Stadt gab es Leute, die ein
Festbankett eines Sklavenhändler-Verbandes durch ihre Anwesenheit ein
wenig aufgemischt haben. Andernorts sind Gruppen entstanden, die lokal
den Kampf gegen die Leiharbeit in Angriff genommen haben. „Leiharbeit
abschaffen“ wurde von verschiedenen Syndikaten der FAU ins Leben
gerufen. Mittlerweile beteiligen sich aber auch viele andere und machen
Aktionen. Die FAU kann übrigens durchaus ein wenig stolz darauf sein,
dass sie die einzige Gewerkschaft ist, die bislang einen Arbeitskampf
bei einem Sklavenhändler geführt und auch noch gewonnen hat.
Wie können sich Leute über „Leiharbeit abschaffen“ informieren und sich beteiligen?
Sie können z.B. einfach die lokalen Syndikate der FAU ansprechen. Oder
auf unserer Website www.leiharbeit-abschaffen.de vorbeischauen. Da gibt
es jede Menge Artikel und Material zum Thema und Möglichkeiten, mit uns
in Kontakt zu treten. Wir freuen uns auf euch!
Website von „Leiharbeit abschaffen“
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