Geknechtetes Leben - Die 65-Stunden-Woche kommt zurück
Die Arbeitszeitrichtlinie
Die konservativen Parteien sowie die englischen und deutschen
Sozialdemokraten wollen die Forderung der Unternehmer erfüllen, die
bisher zulässige Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche auf bis zu
65 Stunden zu erhöhen. Formell wird die 48-Stunden-Woche zwar als Norm
dargestellt, es gibt aber Möglichkeiten, sie zu umgehen, so dass sie de
facto wohl abgeschafft und auf 60 bzw. 65 Stunden ausgeweitet wird. Als
reiner Hohn müssen die Behauptungen der europäischen Bürokratie und der
Bundesregierung gewertet werden, die Direktive, zu der die Arbeitszeit-
und Leiharbeitsrichtlinie gehören (2003/88/CE), sei zum Schutz der
ArbeiterInnen und ihrer Gesundheit gemacht.
"Der letzte offene Punkt, den der Rat gelöst hat, war die sogenannte
"opt-out Regelung", d.h. die Möglichkeit, dass die maximale
wöchentliche Arbeitzeit (48 Stunden) nicht gilt, wenn der Arbeiter
einer längeren Arbeitszeit zustimmt", heißt es in einer Erklärung.
Macht jemand von dieser Möglichkeit Gebrauch, kann die wöchentliche
Arbeitszeit auf bis zu 60 Stunden ausgedehnt werden. Neben dieser
individuellen "freiwilligen" Überschreitung der 48-Stunden-Woche stellt
der sog. Bereitschaftsdienst einen anderen wichtigen Punkt in der
Arbeitszeitrichtlinie dar. Unter Bereitschaft wird die Zeit verstanden,
in der Beschäftigte am Arbeitsplatz zur Verfügung stehen müssen, um bei
Bedarf des Unternehmers bestimmte Arbeiten auszuführen. Im Hinblick auf
die Bereitschaftszeiten macht die Richtlinie eine trickreiche
Unterscheidung zwischen "aktiver" und "inaktiver" Zeit.
Damit sollen die Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH)
ausgetrickst werden. Der EuGH hielt in zwei Urteilen (Simap/Jäger)
fest, dass Bereitschaft prinzipiell als Arbeitszeit zu gelten habe, da
die Beschäftigten im Betrieb anwesend sein müssen, falls ein Notfall
auftritt. Diese Urteile brachten die EU-Staaten vor allem im
Gesundheitsbereich in Schwierigkeiten, da die Ärzte in fast allen
Krankenhäusern der Union illegalerweise länger als erlaubt arbeiten
müssen.
Es wurde daher die sogenannte "inaktive" Bereitschaft erfunden, ein
Zeitraum, in dem der Beschäftigte die Verpflichtung hat, am
Arbeitsplatz zur Verfügung zu stehen, vom Arbeitgeber aber nicht zu
Tätigkeiten eingesetzt wird. Die "inaktive" Bereitschaft auf Abruf soll
EU-weit nicht als Arbeitszeit anerkannt werden, außer einzelstaatliche
Gesetze oder Regelungen, ein Tarifvertrag oder eine Vereinbarung
zwischen den "Sozialpartnern" sehen dies ausdrücklich vor. Dagegen soll
die "aktive" Bereitschaft, bei der es am Arbeitsplatz auch zum
Einsatzfall kommt, als Arbeitszeit gewertet werden.
Die maximale wöchentliche Arbeitszeit bleibt also auf dem Papier bei 48
Wochenstunden, inklusive Überstunden und "aktiver" Bereitschaft. In den
Ländern, in denen nur die "aktive" Bereitschaft als Arbeitszeit gilt,
ist die 60-Stunden-Woche möglich, wenn über einen Zeitraum von drei
Monaten der Arbeitsdurchschnitt bei 48 Stunden liegt. Das kann per
Tarifvertrag oder durch eine Vereinbarung der "Sozialpartner" aber noch
verschlechtert werden. Falls willige Gewerkschaften mitspielen und
entsprechende Tarifverträge unterschreiben, kann ein
Durchschnittszeitraum von zwölf Monaten vereinbart werden. Die
christlichen pseudo-Gewerkschaften und auch ver.di werden sich wohl
nicht lange bitten lassen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich
in einem Land keine Gewerkschaft findet, die solche Verschlechterungen
unterschreibt, kann die 12-Monats-Regelung auch per Gesetz, nach
Gesprächen mit den "Sozialpartnern", eingeführt werden.
Wenn bei ArbeiterInnen die "inaktive" Arbeitszeit während des
Bereitschaftsdienstes auf die Arbeitszeit angerechnet wird und es
keinen Tarifvertrag gibt, kann eine maximale wöchentliche Arbeitszeit
von 65 Stunden gelten, wenn es auch im Durchschnitt über drei Monate
gerechnet wieder 48 Stunden sein müssen.
Die "Zeitarbeits"-Richtlinie
LeiharbeiterInnen sollen vom ersten Tag an grundsätzlich die gleichen
Rechte in den Betrieben bekommen wie die fest angestellten KollegInnen.
Diese Gleichstellung kann verhindert werden, wenn willige
Gewerkschaften mit den Bossen Verschlechterungen durch einen
Tarifvertrag vereinbaren.
In Deutschland wird es daher keine großen Änderungen geben. Hier wurde
bereits im Rahmen der Agenda 2010 der Grundsatz der gleichen Bezahlung
und Behandlung (equal pay - equal treatment) von LeiharbeiterInnen
beschlossen, durch die DGB-Tarifgemeinschaft, unter der Führung von
ver.di, wurden den LeiharbeiterInnen diese Rechte per Tarifvertrag mit
den Verbänden der Leiharbeit (BZA/iGZ) jedoch wieder genommen. Der
Betrug um die gleichen Bedingungen für LeiharbeiterInnen findet in
Deutschland durch einen Nebensatz im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
(AÜG) statt: "Ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen. Im
Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht
tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der
tariflichen Regelungen vereinbaren."
Damit kann die gleiche Bezahlung und Behandlung durch
Verschlechterungstarifverträge außer Kraft gesetzt werden. Das
Besondere ist dabei, dass üblicherweise die Leistungen aus
Tarifverträgen nur den Mitgliedern der abschließenden Gewerkschaft
zugute kommen; in diesem Fall können die Verschlechterungen aber allen
Beschäftigten der Branche aufgezwungen werden.
In der EU-Leiharbeitsrichtlinie soll die weitere Schlechterstellung der
LeiharbeiterInnen durch eine Formulierung im Artikel 5 (Abs. 3)
sichergestellt werden, die mit der deutschen Regelung fast identisch
ist. Für Staaten, in denen Tarifverträge unüblich sind, wird
sicherheitshalber mit Artikel 5 (Abs. 4) die Möglichkeit geschaffen,
LeiharbeiterInnen auch durch landesweite Vereinbarungen der
"Sozialpartner" um ihre Rechte zu betrügen. Das deutsche Modell, Rechte
auf dem Papier zu gewähren, um sie dann durch Vereinbarungen mit
gefälligen Gewerkschaften wieder außer Kraft setzen zu lassen, soll
damit europäischer Standard werden.
Welche Chancen wir haben, die Arbeitszeitrichtlinie zu verhindern,
werden die nächsten Monate zeigen. Die CNT bereitet derzeit jedenfalls
eine Kampagne in Spanien vor.
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