DP World – Europe's Eastern Gateway blockiert: Streik im Hafen von Constanta
Der erste Streiktag
Ein
vom Wind zerrupftes DinA4-Blatt hängt am Haupttor zum Containerterminal
Constanta Agigea Sud und weist darauf hin, dass hier seit dem 17. Juli
2008 um 7 Uhr ein unbefristeter Streik stattfindet. Nichts bewegt sich
mehr auf dem Gelände, die Kräne stehen still. Das Unternehmen hat die
Streikenden umgehend ausgesperrt. Etwa 150 Streikposten stehen vor dem
Tor und skandieren lauthals immer wieder: „Wir arbeiten, wir wollen
auch bezahlt werden.“, „Diebe! Diebe!“ oder „Wir sind keine Sklaven in
unserem Land.“ Das Constanta South Container Terminal wird von DP World
betrieben und ist modern ausgestattet. 85 Prozent des gesamten
Containeraufkommens von Rumäniens größtem Hafen werden hier
abgewickelt. Nach eigenen Angaben hat die Gesellschaft im vergangenen
Jahr 12 Millionen Euro Profit eingefahren.
Vor
fünf Jahren wurde das Terminal in Betrieb genommen. Die Leute waren mit
dem Versprechen eingestellt worden, dass nach europäischem Standard
gearbeitet wird und auch bald (west-)europäische Löhne gezahlt werden.
Letzteres ist bis heute nicht passiert. Die Hafenarbeiter verdienen
umgerechnet knapp 400 Euro monatlich. Erhöht haben sich der
Arbeitsstress, die Zahl der Container, die in einer Schicht verladen
werden und die Überstunden, für die es keine entsprechenden Zuschläge
gibt.
Die Forderung nach 700 RON mehr Lohn ist nicht hoch, wenn man bedenkt, dass die Preise in Rumänien weiter steigen. Allein der Preis für Gas hat sich im Anfang Juni um 20 Prozent erhöht. Die Lebensmittelpreise lassen sich inzwischen schon mit denen in Westeuropa bei Billigdiscountern wie Aldi und Lidl vergleichen. Viele Hafenarbeiter haben Kredite aufgenommen, um sich ein Auto oder eine Stadtwohnung zu kaufen.[1] Mit den gestiegenen Preisen in allen Bereichen wird es nun zunehmend schwieriger, die geforderten Raten zu zahlen.
Aber
die Wut der Streikenden entlädt sich nicht nur beim Thema Lohn. Eine
ihrer wichtigsten Forderungen ist die Einhaltung geregelter
Arbeitszeiten. Gearbeitet wird hier im 12/24-Stunden-System. Eine
Schicht ist zwölf Stunden lang, danach sind 24 Stunden frei. Nach jeder
vierten Schicht sind dann 48 Stunden frei. Es findet ein ständiger
Wechsel von Tag- auf Nachtschichten statt. Doch dieses Programm wird in
der Regel nicht eingehalten. Die Arbeiter werden oft in ihrer freien
Zeit zur Arbeit gerufen und sollen dann innerhalb einer Stunde
anfangen. Sie müssen jederzeit per Handy abrufbereit sein. Reagieren
sie nicht auf die Anrufe, wird das als „unmotivierte“ Einstellung, d.h.
als unentschuldigtes Fehlen in die cartea de munca, das Arbeitsbuch eingetragen. [2]
Nach dreimaligem unentschuldigten Fehlen wird man entlassen. Die
Streikenden erzählen, dass es ihnen wegen der permanenten
Rufbereitschaft unmöglich ist, Pläne für ihre freie Zeit und mit ihren
Familien zu machen. Ein Hafenarbeiter bringt es auf den Punkt: „Die
Arbeit macht kaputt und dann werden wir nicht mal richtig bezahlt!“
Die
Stimmung hier draußen unter den Streikposten ist heiter. Die Sonne
brennt, auf dem Platz vor dem Hauptverwaltungsgebäude gibt es keinen
Schatten. In stündlichen Abständen stellen sich die Streikenden auf,
rufen ihre Losungen und lärmen mit Trillerpfeifen und Tröten. „Der
Streik kann nicht lange dauern, sie müssen unseren Forderungen
nachgeben. Wir blockieren hier den Güterverkehr ins ganze Land, ja
sogar in anliegende Länder. Die großen Industriestandorte sind abhängig
von uns!“ sagt ein älterer Hafenarbeiter.
Plötzlich ist in der Nähe ein gewaltiges Hupkonzert zu hören. Auf der anderen Seite des Terminals stehen hunderte LKWs Schlange, die auf ihre Ladung warten. Sie erwischt der Streik hart, denn sie werden nach Kilometern bezahlt und nicht nach Stunden. Dass gestreikt wird, finden die meisten aber gerechtfertigt. Auch, wenn sie für heute wieder umkehren müssen.
Der
Streik ist gewerkschaftlich organisiert. Im Terminal sind zwei kleine
Gewerkschaften vertreten, die in der FNSP – Nationaler
Gewerkschaftsbund der Hafenarbeiter – organisiert sind. In den
Gesprächen mit den streikenden Hafenarbeitern wird jedoch sehr bald
deutlich, dass nicht die Gewerkschaften zu einem Streik aufgerufen
haben, sondern die Arbeiter Druck auf diese ausgeübt haben. "Letztes
Jahr haben sie verhandelt und unterschrieben, ohne dass wir irgendwie
gefragt wurden und der Abschluss war Scheiße. Jetzt verhandeln sie
schon seit fünf Monaten. Wir passen diesmal auf!“ - „Streik ist unsere
einzige Möglichkeit, hier etwas für uns durchzusetzen.“
Am nächsten Tag um drei Uhr hat die Geschäftsführung von DP World Constanta eine neue Verhandlungsrunde angesetzt. Es gibt heftige Diskussionen auf dem Platz, denn die Verhandlungen sollen in Constanta im Hotel Ibis stattfinden, 12 Kilometer vom Streikort entfernt. Einer der Streikenden findet es falsch, dem nachzugeben. "Wir sind hier hunderte Streikende, sollen sie hier vor Ort mit uns verhandeln. Die haben hier die Räumlichkeiten! Nicht hinter unserem Rücken anderswo."
Um
sieben Uhr abends kommt die Ablösung, die „Nachtschicht“ wird jetzt
Streikposten stehen. Streikbrecher würde das Unternehmen hier in der
Region eh nicht finden, sagen sie, die qualifizierten Arbeiter seien
doch alle im Ausland.
Der zweite Streiktag
Vor dem Terminal liegen inzwischen fünf große Containerschiffe vor Anker und warten darauf, dass der Konflikt gelöst wird. DP World versucht einen Teil des Transports über den Hafen von Odessa in der Ukraine abzuwickeln.
In den rumänischen Fernsehnachrichten gab es kaum Meldungen über den Streik. Nur ein Lokalsender brachte einen Beitrag. Doch einer der Hafenarbeiter sagt treffend: „Das stört uns nicht, wenn sie nichts berichten. Wichtig ist, dass hier alles still steht. Die Blockade bekommt das Land noch zu spüren.“
Es
ist später Nachmittag, auf dem Platz vor dem Tor sind wieder 150
Streikende aus der Tagesschicht versammelt. Die Gesichter sind
angespannt.
Die Verhandlungrunde ist
gescheitert. Die Geschäftsführung gab sich großkotzig und rückte kein
Stück vom letzten Angebot ab. Sie drohten sogar, dass sie ihr aktuelles
Angebot von etwa 100 Euro Lohnerhöhung auch ganz zurückziehen können.
Einer der Gewerkschaftsführer und Mitglied der Tarifkommission – er ist
selbst Arbeiter im Hafen – erzählt seinen Leuten detailgetreu vom
Verlauf der Verhandlungen: „Irgendwann sind sie aufgestanden und
meinten, 'Gut, wir sehen uns dann vor Gericht wieder. Wir werden prüfen
lassen, ob der Streik legal ist. Damit ist das für uns hier
abgeschlossen, wir wollen nicht weiter unnütz Zeit vertrödeln.' Sie
meinten, sie hätten noch ein Wochenendprogramm und würden ins
Donaudelta fischen fahren.“ Unter den anwesenden Streikenden gibt es
viele Fragen und lange Diskussionen:
Welche Konsequenzen hat eine gerichtliche Suspendierung des Streikes
für uns, zahlt die Gewerkschaft Streikgeld, wenn der Kampf länger
dauert? Eine Entscheidung steht jedoch schnell fest: Der Streik wird
fortgesetzt. Wir geben nicht auf! „Wisst ihr was, Leute, am Montag
stellen wir uns hier hin und ändern auch unsere Forderung. Wir fordern
weiter 700 mehr, aber nicht mehr 700 RON, sondern 700 EURO!“
Während sich nur wenige Kilometer weiter entlang der Schwarzmeerküste Hundertausende UrlauberInnen dichtgedrängt an den Badestränden in der Sonne grillen, stellen sich die Streikenden auf einen längeren Kampf ein. Die FNSP hat am Montag zu einem Solidaritätsstreik im gesamten Hafen von Constanta[3] aufgerufen.
Die Kräne stehen weiter still. Die LKWs haben kehrt gemacht. Die Schiffe warten.
Ana Cosel aus Rumänien, 20.07.2008
(1) In Rumänien ist es eher selten, dass Wohnungen vermietet werden. Die Mieten sind auch sehr hoch. Wer Glück hat, besitzt noch eine Eigentumswohnung, die vor 1989 günstig zu kaufen waren.
(2) Rumänische Lohnsteuerkarte, in der auch Vermerke über das Verhalten der ArbeiterInnen festgehalten werden.
(3) Im Hafen von Constanta arbeiten laut Angaben der Federatia Nationale a Sindicatelor Portuare (FNSP) 9000 Menschen. Insgesamt sind 30 verschiedene Gewerkschaften unter dem Dach der FNSP in den Häfen mit insgesamt 6000 Mitgliedern präsent.
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