Dokumentation: WSI-Arbeitskampfbilanz für 2008: Rückgang des Streikvolumens, aber deutlich mehr Streikende
Die Zahl der Streikenden hat im vergangenen Jahr deutlich zugenommen, die Zahl der Streiktage dagegen abgenommen. Dies ist das Ergebnis der am Dienstag in Düsseldorf von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung vorgelegten Arbeitskampfbilanz 2008. Demnach waren im vergangenen Jahr rund 1,6 Millionen Beschäftigte an Arbeitskämpfen beteiligt, eine Million mehr als im Jahr davor. Gleichzeitig fielen aber 183000 weniger Arbeitstage aus als im Jahr 2007. Insgesamt legten die Streikenden inklusive Warnstreiks der Studie zufolge an 542000 Tagen die Arbeit nieder. Der Arbeitskampfexperte der Hans-Böckler-Stiftung, Heiner Dribbusch, erklärte, die Entwicklung zeige, daß 2008 ein Jahr mit überwiegend als Warnstreiks geführten intensiven Arbeitskämpfen gewesen sei. Die intensivste Beteiligung erlebten den Angaben zufolge die Warnstreikwellen während der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes. Hier traten laut der Studie etwa 430000 Beschäftigte in den Ausstand.
Offizielle Streikstatistik mit erheblichen Lücken
Arbeitskampfexperte
Dribbusch geht davon aus, dass die offizielle Streikstatistik das
Arbeitskampfgeschehen nur lückenhaft abbildet. Ein Grund: In die
amtliche Arbeitskampfstatistik werden nur solche Streiks einbezogen, an
denen je erfasstem Betrieb mindestens 10 Beschäftigte beteiligt waren
und die mindestens einen Tag dauerten oder durch die je Betrieb ein
Ausfall von mindestens 100 Arbeitstagen verursacht wurde. "Durch diese
Grenzen werden viele Streikaktionen als so genannte Bagatell-Streiks
nicht in die Statistik aufgenommen", erklärt WSI-Forscher Dribbusch.
Dies kann die systematische Untererfassung freilich nur zu einem Teil
erklären, auch wenn nach Angaben der Bundesagentur immerhin 74.000
Streikende und 19.000 Streiktage auf Grund von "Bagatell-Streiks" in
2008 aus der Statistik fielen.
Die wichtigste Fehlerquelle liegt im Erhebungsverfahren selbst: Basis für die BA-Statistik sind Meldungen der Unternehmen. Diese sind zwar vorgeschrieben, die Einhaltung wird aber nicht kontrolliert, es gibt keine Sanktionen. Eine unbekannte, aber nach Dribbuschs Erfahrung große Zahl von Streikaktionen wird gar nicht erst von den Betrieben gemeldet. Gerade in kleineren und mittleren Betrieben dürfte die Pflicht zur Meldung von Arbeitskämpfen nicht einmal bekannt sein.
Demgegenüber basiert die Schätzung des WSI auf der Auswertung von
Streikmeldungen in den Medien sowie auf Gewerkschaftsangaben.
Insbesondere bei summarischen Angaben zu Warnstreiks sei eine gewisse
Überhöhung der Teilnehmerzahlen nicht auszuschließen, erklärt
Dribbusch. Dies wurde bei der Einschätzung des Streikvolumens
berücksichtigt.
Nicht mitberechnet wurden sicher auch die alltäglichen Sabotageaktionen chronisch unterbezahlter Lohnabhängiger. Widerstand wird gerade in Zeiten der Krise immer häufiger Kreativ.
Deutschland weiter relativ streikarm
In der
auf offiziellen Daten basierenden internationalen Vergleichstatistik
belegt Deutschland einen der unteren Plätze. Für die zehn Jahre von
1998 bis 2007 - dem derzeit letzten Jahr, für das Daten aus dem Ausland
vorliegen - ergeben sich auf Basis der amtlichen Statistik
durchschnittlich rund vier arbeitskampfbedingte Ausfalltage im Jahr pro
1.000 Beschäftigte und ein Platz am unteren Ende der Statistik (vgl.
Grafik 2 im Anhang). Für die streikstärkeren fünf Jahre von 2004-2008
weist die offizielle Statistik in Deutschland durchschnittlich 5,2
arbeitskampfbedingte Ausfalltage im Jahr pro 1.000 Beschäftigte aus.
Quellen:
http://www.jungewelt.de/2009/04-22/040.php
http://www.innovations-report.de/html/berichte/studien/wsi_arbeitskampfbilanz_2008_131303.html
http://www.boeckler.de/pdf/pm_ta_2009_04_21.pdf
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