Die müssen das aushalten - FAU Berlin darf sich wieder Gewerkschaft nennen
In erster Instanz, vor dem Landgericht, war es dann auch gelungen, mit
dieser Begründung das Verbot der Selbstbezeichnung als Gewerkschaft zu
erwirken. Für die FAU Berlin führte das nicht nur zu teuren
juristischen Prozeduren, es beeinträchtigte auch konkret die Arbeit der
Organisation. An den Status der Gewerkschaft sind gewisse Rechte
gekoppelt, auf die die FAU Berlin nun nicht mehr zugreifen konnte.
Nicht nur im Kino Babylon Mitte, sondern in allen Arbeitskämpfen, die
sie mit ihren Mitgliedern führt.
Das Kammergericht stellte nun in zweiter Instanz aber fest, dass es
keine faktischen, objektiven Kriterien für das Recht auf den Begriff
Gewerkschaft gebe. Wenn die Gegenseite dafür die Tariffähigkeit
heranziehe, so sei das nur deren persönliche Rechtsauffassung.
Ansonsten falle es unter das Recht auf Meinungsfreiheit, sich so zu
bezeichnen, wie man möchte. Desweiteren wurde der Anlass der
Einstweiligen Verfügung nicht als erwiesen betrachtet. Die
Kino-Geschäftsführung hatte behauptet, einen finanziellen Schaden
dadurch zu erlangen, dass die Organisation, mit der sie alle Gespräche
ablehnt, eine Gewerkschaft ist. Zu konstruiert, um eine Einstweilige
Verfügung zu rechtfertigen, befand das Gericht.
Sektkorken knallen
Nach der Verhandlung versammelten sich die Zuschauer direkt vor dem
Gericht zu einer Kundgebung. Prozessbeobachter Hector Feliciano von der
spanischen CNT-IAA und André Eisenstein von der französischen CNT
beglückwünschten die FAU Berlin zu ihrem juristischen Sieg „Doch eine
Gewerkschaft ist mehr als ein Stück Papier, sie existiert in unseren
Herzen, Köpfen und unserem Handeln“, rief Laure Akai von der ZSP
(Polen) den Gästen zu. Rechtsanwalt Klaus Stähle, der die FAU Berlin
gegen das Nennverbot verteidigt hatte, stellte klar, was das Gericht
mit seinem Urteil meint: „Das Kino Babylon Mitte muss es aushalten
können, dass ihr eine Gewerkschaft seid!“ Dann zog man spontan weiter
zur nächsten Kundgebung: diesmal vors Kino Babylon. Mit der Parole
„FAU-IAA, die Gewerkschaft, die ist da“ wurde Geschäftsführer Timothy
Grossman durchs Bürofenster begrüßt.
Dieser
10. Juni stand ganz im Zeichen der ArbeiterInnenrechte, denn
gleichzeitig lief auch der „Emmely“-Prozess vor dem
Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Um 18h gab es eine gemeinsame
Kundgebung mit dem Emmely-Komitee vor einer Kaiser's-Filiale in Berlin.
Auch ihr Prozess wurde (weitgehend) gewonnen – doppelter Grund zum
Feiern für die beiden Gruppen, die sich bei ihren Prozessvorbereitungen
gegenseitig unterstützten.
Abends kamen im FAU-Lokal die internationalen Gäste noch einmal zu
einer Podiumsdiskussion zusammen, um sich über das Thema
Gewerkschaftsfreiheit auszutauschen. Festgehalten werden konnte dabei,
dass die Geschichte der verschiedenen Länder zwar recht unterschiedlich
ist, momentan aber in Reaktion auf die Krise in Polen, Frankreich,
Spanien und Deutschland ähnliche Pläne in den Schubladen der
Regierungen liegen. Überall ist zu beobachten, wie in einem
unterschiedlichen Ausmaß und auf verschiedene Art und Weise
zentralistische Gewerkschaften, als Ordnungsmacht begünstigt werden,
während die Handlungsmöglichkeiten von kämpferischen Gewerkschaften
eingeschränkt werden sollen. Aufgabe der syndikalistischen Bewegung in
Europa muss es sein, dem entgegenzutreten und stattdessen die
Handlungsfähigkeit der ArbeiterInnen direkt in den Betrieben zu stärken.
Bewegung in den Gewerkschaftsstrukturen
Die Bedeutung des Urteils geht deutlich über das Kino Babylon Mitte
hinaus. Die sehr festen Gewerkschaftsstrukturen in Deutschland, wo die
Monopolstellung der Einheitsgewerkschaft sogar noch weiter manifestiert
werden soll, sehen keine selbstorganisierten Basisgruppen vor. Es war
abzusehen, dass es starken Gegenwind geben würde, sobald ernsthaft
diese Krusten angekratzt werden. Darum war das de-facto-Verbot der FAU
Berlin als gefährlicher Präzedenzfall ein Angriff auf die
Gewerkschaftsfreiheit generell.
Unterstützt
wurde der Tag vor Gericht von vielen internationalen Protesten. In
Philadelphia und Amsterdam fanden zeitgleich zum Prozess Kundgebungen
vor deutschen Konsulaten statt. Wenige Tage zuvor skandierten
litauische Gewerkschafter vor der deutschen Botschaft in Vilnius: „Das
Verbot bedeutet Schaden für die ArbeiterInnen in Deutschland, und wir
werden sie in dieser Situation nicht allein lassen. Auf diese Weise
versuchen KapitalistInnen, in der Krise die Arbeitskämpfe zu brechen.“
Grußbotschaften aus zahlreichen Ländern trudelten in den letzten Wochen
bei der FAU ein, um den Berlinern Mut zu machen.
Für die FAU Berlin geht mit dem Urteil eine arbeitsintensive Zeit zu
Ende. Sie freut sich sehr über die große Unterstützung, wie z.B. auch
die Arbeit des Solikomitees für Gewerkschaftsfreiheit, das unzählige
Unterschriften gegen das de-facto-Verbot zusammentrug. Ermutigend war
ebenso die finanzielle Unterstützung durch Spenden, denn im Gegensatz
zum halbkommunalen Kino Babylon konnte sich die FAU Berlin ihre
Gerichtskosten nicht von öffentlichen Geldern finanzieren lassen. Und
natürlich die vielen Briefe, Protestaktionen, Kundgebungen, die es
international und deutschlandweit gegeben hat.
Das Verbot des Boykottaufrufs vom Oktober 2009 wird durch das neue
Urteil nicht angefochten. Solange die Frage der Tariffähigkeit nicht
endgültig geklärt ist, bleibt es für die Betriebsgruppe der FAU im Kino
Babylon Mitte schwierig, für ihre Forderungen zu kämpfen. Lars Röhm,
Sekretär der FAU Berlin: „Nun dürfen wir uns zwar wieder Gewerkschaft
nennen, aber für die Rechte einer Gewerkschaft müssen wir weiter
kämpfen.“
Dafür werden sich Gelegenheiten finden, denn die Mitgliedszahlen der
FAU Berlin steigen stetig. Eine Handvoll Betriebsgruppen befinden sich
in der Aufbauphase, sie entstehen in verschiedenen Branchen, vom
Pflegedienst bis zum Reinigungsunternehmen. Und ein Kino ist auch
wieder dabei.
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