Der Kampf für indigene Autonomie in Neuseeland oder, wer ist hier der Terrorist?
Nach einer 18 monatigen Operation mit dem Codename ‘Operation Eight’
in der dutzende indigener Aktivist_innen und Anarchist_innen überwacht
wurden, durchsuchten 300 Polizisten 40 Häuser in mehreren Städten
Neuseelands und verhafteten 17 Menschen. Die Polizei behauptet, dass
‘terroristische Trainingslager’ im Urewera Wald, im Gebiet des Tūhoe
Stammes, statt fanden und Aktivist_innen den Umgang mit Waffen und
Molotov-Cocktails lernten. Von Napalm, IRA Trainingsbüchern und
geplanten Anschlägen auf George Bush war die Rede. Die Polizei wollte
mich und 11 weitere Aktivist_innen unter dem Anti-Terror Gesetz
anklagen.
Unter den Verhafteten befinden sich Mitglieder
mehrerer Māori Stämme und auch Europäer wie mich. Neben zwei
anarchistischen sozialen Zentren – das Hausprojekt 'A Space Inside' in
Auckland und das radikale soziale Zentrum '128 Abel Smith Street' in
Wellington - die durchsucht wurden, waren es vor allem die von der
Polizei vollständig abgeriegelte Tūhoe Gemeinde Ruatoki, die der
staatliche Repressionsapparat am härtesten traf. Die Tūhoe kämpfen seit
150 Jahren für ihre Autonomie schon in den 1860ern und 1916 wurden
Tūhoe-Dörfer von kolonialen Truppen heimgesucht.
"Der Begriff
'Tūhoe-Nation' beschreibt die Kultur, Sprache und Identität von Leuten,
die durch überlieferte Traditionen immer noch eine lebendige Erinnerung
an die vor-europäische Zeit haben und sich daran erinnern, dass freie
Menschen nicht freiwillig Sklaven werden," sagt Tāmati Kruger, ein
Sprecher für die Tūhoe.
Der Vertrag von Waitangi, der 1840
zwischen der englischen Krone und etwa 500 Māori Häuptlingen
unterzeichnet wurde (allerdings nicht von den Tūhoe), ist Zentrum der
Debatte um indigene Souveränität. Emily Bailey vom Te Atiawa Stamm -
auch sie wurde am 15. Oktober verhaftet - schlägt vor, dem Vertrag die
kalte Schulter zu zeigen. "Für viele Maori hat es nie irgendein
Übereinkommen gegeben, unsere Souveränität aufzugeben. Es hat nie ein
Abkommen gegeben, unsere Ländereien gegen unseren Willen abzugeben. Und
wir haben nie zugestimmt, unsere Heiler, unsere Sprache, unsere
geschnitzten Versammlungshäuser, oder unser Recht aufzugeben, gegen
diejenigen zu rebellieren, die uns vergewaltigt, ermordet und bestohlen
haben."
Auch die regierende ‘Labour Party’ hat in den letzten 9
Jahren die indigene Bevölkerung weiter bestohlen. So wurde 2004 das
Land zwischen Hoch- und Niedrigwasserpegel trotz grosser Proteste mit
35’000 Demonstrant_innen konfisziert und kann nun privatisiert werden.
Auch ist Neuseeland, zusammen mit Kanada, Australien und den USA, eines
von nur vier Ländern, die in der UNO gegen die Annahme der "Deklaration
der Rechte Indigener Völker" gestimmt haben.
Das
Anti-Terrorismus Gesetz trat 2002 in Kraft. Die Regierung
argumentierte, dass dieses Gesetz eine Notwendigkeit sei im Kampf gegen
den ‘internationalen Terrorismus’. Gleichzeitig erhielt die Polizei
eine Anti-Terror Einheit und das Budget des neuseeländischen
Geheimdienstes wuchs um über 300% in 5 Jahren. Valerie Morse, eine der
verhafteten Anarchistinnen, schrieb schon vor den Razzien: “Mit
grösseren Budgets für Polizei und Geheimdienste kamen neue Werk- und
Spielzeuge für die Überwachung der Bevölkerung. Die Technologie des 21.
Jahrhunderts erlaubt es, riesige Mengen an Daten unseres Altags zu
sammeln. Betroffen von dieser Überwachung sind mehrheitlich die am
Rande der Gesellschaft stehenden – Flüchtlinge, Migrant_innen, das
Prekariat, Anarchist_innen, politische Aktivist_innen, Māori und
Moslem.”
Der indigene Befreiungskampf ist so alt wie die
Unterdrückung durch die Kolonialmacht. Die Begriffe ‘Tino
Rangatiratanga’ und ‘Mana Motuhake’ beschreiben die Bestrebungen der
Māori für Selbstverwaltung. Dabei geht es nicht um die Gründung
weiterer Nationalstaaten, sondern vielmehr um die kulturelle und
sprachliche Selbständigkeit, sowie um den Zugriff auf natürliche
Ressourcen.
Tame Iti, ein landesweit bekannter Tūhoe Aktivist
der ebenfalls verhaftet wurde, erklärt: "Für mich ist das
allerwichtigste, über die Begriffe Mana Motuhake und Tino
Rangatiratanga zu sprechen. [...] Bei Mana Motuhake geht es um
Freiheit. Um die Freiheit, ein Tūhoe zu sein, ein Ngā Puhi zu sein, ein
Waikato zu sein. Für mich geht es darum. Und um die Freiheit ein Pakeha
(Europäer) zu sein."
8 der verhafteten indentifizieren sich im
weiteren Sinne als Anarchist_innen. Die anarchistische Bewegung
Neuseelands hat ihre Wurzeln in den Arbeiter_innenkämpfe des frühen 20.
Jahrhunderts. Die 'Industrial Workers of the World' waren eine kleine
aber einflussreiche Organisation während des Generalstreiks 1913, bei
dem die Polizei die Streikenden mit Maschinengewehren angriff.
Anarchist_innen
heute engagieren sich in verschiedenen Kämpfen: Umweltzschutz,
gewerkschaftliche Arbeit (wie z.B. beim weltweit ersten Streik bei
Starbucks), Anti-Kriegs Aktivitäten, soziale Zentren und Infoläden,
Tierrechtskollektive, feministische Aktionen und im indigenen
Widerstand.
Während unserer Zeit im Knast entwickelte sich
draussen eine Solidaritätsbewegung über die Landesgrenzen hinweg (z.B.
fand am 19. Oktober 2007 eine Solidaritätskundgebung vor der
neuseeländischen Botschaft in Berlin statt). Tausende Menschen
beteiligten sich in an Demonstrationen in dutzenden Städten
Neuseelands.
Nachdem am 8. November, nach fast 4 Wochen Haft,
klar war, dass eine Anklage unter dem Anti-Terror Gesetz wegen
'mangelnder Beweislage' nicht zu stande kommen würde, wurden wir aus
der Untersuchungshaft entlassen. Die Anklage wegen Verstössen gegen das
Waffengesetz bleibt allerdings bestehen.
Alle drei Jahre wieder
- in der zweiten Jahreshälfte finden Parlamentswahlen statt. Die
'Labour Party', die ihre sozialistische Entstehungsgeschichte schon
längst vergessen hat, wird wohl verlieren. Am Wochenende findet der
Wahlkongress in Wellington statt und die Regierung wird bestimmt wieder
von links blamiert und attackiert.
Im September findet dann die Vorverhandlung in Auckland statt. In den nächsten Monaten wird die Solidaritätsarbeit Vordergrund
stehen. Gleichzeitig geht der Kampf für indigene Autonomie weiter.
Autor: October 15th Solidarty

Für mehr Informationen und Kontakt: www.October15thSolidarity.info
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