»Das Gegenmodell heißt: völlige Umwälzung der Verhältnisse«
Ilija Trojanow, 1965 in Sofia geboren, lebt in Wien. Er ist Autor von Romanen und Reportagen, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Für seinen Bestseller-Roman »Der Weltensammler« (2006) erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse. Mit Ranjit Hoskoté verfaßte er die Streitschrift »Kampfabsage. Kulturen bekämpfen sich nicht – sie fließen zusammen« (2007)
Sie sind in Bulgarien geboren, haben in Kenia die Schule besucht und in
Deutschland studiert. Aus was für einer Familie kommen Sie, welches
Milieu hat Sie in Ihrer Jugend geprägt?
Es ist die Besonderheit eines Exilantendaseins, daß die Flucht aus dem
Herkunftsland oft auch einen Milieuwechsel impliziert. In Bulgarien
hatten meine Eltern und ich in durchschnittlichen Verhältnissen gelebt.
In dem einen Zimmer unserer kleinen Wohnung lebten meine Eltern und ich,
in dem anderen mein Onkel und meine Tante. Im Wohnzimmer schlief die
Großmutter. Die Herkunft der Familie ist sehr disparat. Ein Großonkel
war der Patriarch von Bulgarien. Dann gab es da den ersten großen
Literaturkritiker Bulgariens und einen der ersten richtigen
Industriellen aus der Stadt Trojan. Andere Teile der Familie waren
verarmte kleine Händler. Mein Großvater war Operndirektor und einer der
wenigen sehr frühen bulgarischen Kommunisten. Der Onkel, der bei uns
wohnte, hat als erster, und soweit ich weiß einziger, zu Lebzeiten
Stalins eine Stalinstatue in die Luft gesprengt und wäre zum Tode
verurteilt worden, wenn nicht während seines Prozesses Stalin gestorben
wäre. Er hat dann lebenslänglich bekommen und ist nach vielen Jahren
Einzelhaft freigelassen worden.
Die mit Abstand tiefste Erfahrung sozialer Unterprivilegierung habe ich
in jenem halben Jahr gemacht, das wir in zwei Flüchtlingslagern in
Italien und Deutschland verbrachten. Das hat mich sehr geprägt, weil ich
sechs Jahre alt war. Das ist ein Alter, wo man solche großen
Veränderungen im Leben sehr intensiv wahrnimmt. Meine lineare Erinnerung
beginnt hier. Kenia war dann ein völliger Bruch. Plötzlich erlebte ich
eine privilegierte, postkoloniale Existenz: Häuschen, Diener, Auto. Ein
sozialer Aufstieg, wenn man so will. Andererseits wurde ich, um Englisch
zu lernen, auf ein Internat geschickt, das sehr streng und britischer
als die britischen Internate war. Das Essen war unter aller Sau: Jeden
Morgen Porridge, was ich gehaßt habe. Nachmittags gab es körperliche
Ertüchtigung. Das war paramilitärisch. Da ich schon damals enorme
Probleme mit Autoritäten hatte, war ich fast jede Woche beim
Schulleiter. Der hat sich irgendwann die Predigten gespart und nur
gesagt: »Du wieder. Dreh dich um. Bück dich.« Dann zischte der
Bambusstock. Als Acht- oder Neunjähriger habe ich gelernt, daß Strafe
ein ziemlich absurdes Prinzip ist, weil man das irgendwann souverän
wegsteckt und eine Art rebellischen Stolz entwickelt. Gegenwind macht
mich eher stark. Das hängt wohl mit dieser Internatszeit zusammen, die
mich im Alter von sieben bis 12 sehr stark geprägt hat. Andererseits gab
es eine schöne Bibliothek. Ich habe viel gelesen. Die Schülerschaft
teilte sich in jeweils ein Drittel Afrikaner, Inder und Europäer, die
innerhalb des Internats völlig gleichgestellt waren. Was es gab, waren
Ressentiments. Ich habe selbst erlebt, was es heißt, ein Fremder zu
sein. Als ich in die Schule kam, konnte ich fast kein Englisch. Nach
einem Jahr war ich der Klassenbeste. Wenn Leute in meinen
Veranstaltungen sagen, die liberale Demokratie, das sind die wahren
europäischen Werte. Dann kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Das ist
nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist: Diese Rechte
gelten nur für manche Leute. Ich weiß, wie es ist, nicht dazuzugehören.
Wenn du schwarz, braun, gelb, Moslem, Hindu oder sonst etwas bist, dann
gelten diese Rechte für dich nicht.
Rührt von der rebellischen Seite, die sich in Ihrer Kindheit
herausgebildet hat, auch Ihr Interesse für den Anarchismus?
Ich würde das nicht als Interesse, sondern als Leidenschaft bezeichnen.
Wo das herkommt, kann ich nicht genau rekonstruieren. Ich habe ein
Problem mit Hierarchien. Ich habe daher noch nie in meinem Leben für
jemanden gearbeitet. Ich flippe völlig aus, wenn Leute mir Befehle
geben. Ich kann das nicht unterdrücken und schreie herum. Das ist mir
hinterher peinlich. Ich kriege auch regelmäßig Ärger bei
Flughafenkontrollen. In den USA haben sie mich neulich wieder
herausgeholt und drei Stunden in einen Raum eingesperrt, weil ich auf
deren dümmliche Fragen zu frech geantwortet habe. Ich habe als
Jugendlicher »Unter dem Pflaster liegt der Strand« und eine
Bakunin-Ausgabe gelesen. Seitdem ich mit etwa 15 Jahren erkannt hatte,
daß der Anarchismus die einzige würdevolle, unkorrumpierbare, souveräne
Position eines freiheitsliebenden und freidenkerischen Menschen ist,
habe ich mich politisch nicht mehr bewegt. Das Problem, das ich mit der
anarchistischen Szene in Deutschland jedoch immer gehabt habe, ist
dieses Kleindenkerische, eine Gruppe gegen die andere, diese
Selbstzerfleischung, daß jemand, der eine andere Meinung hat,
exkommuniziert wird. Ich habe einen Zugang zum Spirituellen, womit die
meisten nicht umgehen können. Was ich auf den Tod nicht ausstehen kann,
ist zudem Unprofessionalität. Meine Haltung war von Anfang an: Wenn ich
etwas aus Idealismus mache, dann muß ich es erst recht perfekt machen.
Nach Afrika und Deutschland haben Sie mehrere Jahre in Bombay verbracht
und sagen heute, das sei die interessanteste Stadt, die Sie kennen. Warum?
Bombay hat mich jeden Tag herausgefordert. Ich habe dort fünfeinhalb
Jahre lang gelebt. Alle großen Themen und Konflikte der Menschheit
werden an einem Ort sichtbar. Die wachsende indische Mittelschicht
orientiert sich völlig an der Oberschicht. Da sie die Armut real nicht
abschaffen kann, wird sie entweder medial abgeschafft; das heißt, sie
kommt in den unzähligen Privatsendern nicht vor. Oder sie wird
gettoisiert. Jeder, der ein bißchen zu Geld kommt, versucht, in
privilegierte Inseln reinzukommen. Sei es in Clubs, wo man seine Ruhe
hat, sei es in irgendwelche Hochhäuser, wo man oben über das Gewusel,
den Dreck und die täglichen Provokationen der Stadt hinwegschaut. Oder
in sogenannte Gated communities (abgesperrte und gesicherte Wohnanlagen
– d. Red.), die ja weltweit rasant zunehmen. Alle sozialen Konflikte,
kulturellen Positionierungen, religiösen Manipulationen sind in diesem
Moloch zusammengebracht. Aber auch alle Segnungen einer großen offenen
Stadt, in der viele Menschen miteinander zu tun haben, sich gegenseitig
anhören, beeinflussen. Es gibt unglaublich viele Organisationen,
angefangen von verschiedenen Slumbewohnergruppen bis hin zu
verschiedenen Nichtregierungsorganisationen. Bombay ist eine Stadt, in
der sehr viele kleine Rebellionen stattfinden, die stellvertretend sind
für die großen Konflikte. Ich habe viele wunderbare Menschen getroffen.
Die Stadt kehrt das Beste und das Schlechteste im Menschen hervor.
Manchmal läßt sie einen grundsätzlich an der Existenz der Menschheit
zweifeln, dann wieder zeigt sie, was die Menschen an Größe, Güte, Demut,
Empathie, Opferbereitschaft, Gnade und Solidarität auf die Beine stellen
können.
Sie mischen sich allein oder in Zusammenarbeit mit anderen Autoren
regelmäßig in politische Debatten ein. Was treibt Sie dazu?
Zur Poetologie meines Schreibens gehört, um ein Sprichwort aus Simbabwe
zu zitieren, die Überzeugung, daß erst die Ohren der Zunge Leben geben.
Ich habe einen ganz starken kommunikativen Impuls und kann mit
genialistischer Eigenproduktion oder einer l’art pour l’art (Kunst um
der Kunst willen – d. Red.) überhaupt nichts anfangen. Das geht mir
wirklich am Arsch vorbei. Ich suche die dialogische Form, die in eine
Symbiose mündet. Mich bestärkt es, wenn ich Menschen finde, mit denen es
eine so enge Zusammenarbeit gibt, daß man zum Schluß sagen kann: »Das
ist unser gemeinsamer Text.« Nach meiner Zusammenabeit mit Ranjit
Hoskoté in »Kampfabsage« und Chenjerai Hove in »Hüter der Sonne«, wird
ein drittes Projekt mit Juli Zeh dazukommen: ein frontaler Angriff gegen
die Zerstörung der Bürgerrechte und der letzten Überreste einer
demokratischen Gesellschaft. Ich will andere Menschen erreichen,
erfreuen, beglücken, bewegen und verändern. Wenn ich auch nur im
entferntesten daran zweifeln würde, daß das möglich ist, würde ich nicht
schreiben bzw. nicht publizieren. Das Wort ist ein gewaltiges
Instrument. Wenn man ein gewisses Talent hat, wieso sollte man dieses
Instrument nicht nutzen? Das Menschsein ist auch ein lebenslanger Kampf
um die Verbesserung seiner selbst, um die Liebe anderer Menschen und für
eine bessere Gesellschaft. In diesem Kampf muß man sich fragen: »Was
sind meine Talente?« Ich habe nur ein Talent. Ich kann ganz gut mit dem
Wort umgehen. Das ist sozusagen meine einzige Waffe, und die benutze ich
auch.
Zusammen mit Ihrem Koautor Ranjit Hoskoté mischen Sie sich mit dem Buch
»Kampfabsage« in die Debatte um den sogenannten Kampf der Kulturen ein.
Wer ist Hoskoté und was sind Ihre gemeinsamen Hauptthesen?
Ranjit ist einer der bekanntesten indischen Dichter, Kunstkuratoren und
Intellektuellen. Er kommt aus der undogmatischen Linken und war
Redakteur der führenden Tageszeitung Der Hindu. Um unser gemeinsames
Buch besser vermarkten zu können, hat es der Verlag mit der Debatte um
den Kampf der Kulturen verbunden. Sein Inhalt geht aber viel tiefer. Wir
haben versucht zu zeigen, was für ein Unfug es ist, wenn man die
kulturelle Entwicklung in starre Kategorien und Regelwerke faßt und
politisch instrumentalisiert. Was als Kanon oder eigene Tradition
verkauft wird, stammt meist aus einem Prozeß der Bastardisierung oder
Hybridisierung, der nur deshalb unter den Tisch gekehrt werden kann,
weil er historisch schon etwas zurückliegt. Unsere Metapher der
Zusammenflüsse meint folgendes: Ein Fluß trägt von der Quelle bis zur
Mündung denselben Namen. Sein Inhalt wird aber entscheidend von dem
geprägt, was seine Zuflüsse herantragen. Oft haben sie einen viel
größeren Anteil als der Ursprungsfluß. Kulturgeschichtliche
Darstellungen müßten solche Zusammenflüsse beleuchten, statt sie hinter
Einheitsbegriffen zu verbergen, mit denen die Vergangenheit konstruiert
wird. Das Nationalstaatliche und das Patriotische sind dafür besonders
prägnante Beispiele. Auch die europäische Identität oder das christliche
Abendland sind solche Konstrukte. Der Begriff judeochristlich ist zum
Beispiel erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgekommen. Wenn man die
Geschichte des christlich-jüdischen Zusammenpralls anschaut, macht er
einen ja eher stutzig: Hunderte Jahre Verfolgung, Unterdrückung und
Ermordung der Juden im Abendland. Trotzdem wird der Begriff in den
letzten 50 Jahren immer stärker als ein identitätsschaffendes Muster für
das verwendet, was angeblich unser ist: die westliche Zivilisation samt
monotheistischem Denksystem und der Trennung von Kirche und Staat.
Politisch gehört der Begriff inzwischen zum Selbstverständnis der
US-Außenpolitik, die auf alle differenzierteren und kritischen
Positionen zu Palästina hysterisch reagiert. Wenn es politisch opportun
ist, kann man jede Form von Identität konstruieren. Die Einflüsse des
Judentums auf das christliche Abendland sind nicht größer als die der
islamischen Welt. Wir beschreiben in unserem Buch, wie die islamische
Philosophie die westliche Rationalität mitbegründet hat, wie die
Mathematik und die Medizin revolutioniert wurden. Wenn ich die Mittel
zur Verfügung hätte, um das propagandistisch durchzusetzen, würden die
Leute in zehn Jahren sagen: Wir haben eine judeochristlich-islamische
Identität, Geschichte oder Tradition.
Sie schreiben in Ihrem Buch, daß die kapitalistische Form der
Globalisierung einem intensiven und dynamischen Austausch der Kulturen
entgegenstehe. Warum ist das so?
Jeder, der in der sogenannten Dritten Welt gelebt hat, weiß, wie
einheimische traditionelle Techniken und Formen in einem rasanten Tempo
weggeweht werden. So schnell wie im Moment manche Gletscher schmelzen,
verschwinden in der Musik oder in der mündlichen Überlieferung gewisse
Formen, die Jahrhunderte oder Jahrtausende Bestand hatten, weil es mit
MTV International, billigen Musikkassetten, Handys, Radio und Fernsehen
einen Angriff auf die lokalen Kulturen gibt. Künstler aus diesen Ländern
resignieren. Sie sagen, daß es kaum noch junge Menschen gibt, die zum
Beispiel die indische klassische Musik studieren, die genauso komplex
ist wie die westliche klassische Musik und in zehn bis 20 Jahren mühsam
erlernt werden muß. Die talentierten jungen Leute erstreben
wirtschaftlichen Erfolg, der sich in vielen dieser altertümlichen
Kunstformen aber nicht mehr erzielen läßt. Als Griots (Sänger, Balladen-
und Geschichtenerzähler vor allem in Westafrika – d. Red.) können sie
nicht weltweit hip werden bzw. müssen in einer Bierzeltatmosphäre bei
André Heller im Hintergrund spielen, während im Vordergrund ein
äthiopischer Gaukler mit Bällen jongliert. Das ist entwürdigend für
Leute, die in einer Jahrtausende alten Tradition des Gesangs, der
Poesie, der Heilkraft und des sozialen Kommentars stehen, aus diesem
Kontext herausgerissen werden und nur noch als Versatzstücke in so einem
globalen Brei mißbraucht werden. Das Aussterben der Vielfalt an Arten,
Sprachen, Kulturen und selbst des Klimas ist momentan eine Realität.
Gibt es zur kapitalistischen Globalisierung überhaupt eine Alternative?
Daß es zu ihr keine Alternative geben kann, ist schon logisch eine
absurde Behauptung. Das Gegenmodell heißt: völlige Umwälzung der
Verhältnisse. Bloß kosmetische Veränderungen reichen nicht aus. Die
Klimaforscher sind da momentan die radikalsten. Sie sagen: Hier zehn
Prozent minimieren, da mal fünf Prozent – das ist alles für die Katz.
Erstens wirkt das erst nach dreißig Jahren und dann sind wir durch so
viele Melt-down-Effekte gegangen, daß es völlig irrelevant ist. Wir
müssen die Formen des globalen kapitalistischen Wirtschaftens
überdenken. So wenig wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte
korrelieren die Lösungsansätze und der Widerstand mit den Problemen,
denen wir gegenüberstehen. Im 19. Jahrhundert gab es noch ein gewisses
Verhältnis zwischen den sozialen Problemen und dem Widerstand gegen die
herrschenden Verhältnisse. Das ist heute völlig aus dem Ruder gelaufen.
Dieser Tage wird zum ersten Mal öffentlich diskutiert, was seit Jahren
alle Fachleute predigen: Daß die Menschheit sich bald nicht mehr wird
ernähren können. Das sind Katastrophen von unvorstellbarer
Größenordnung, daß eine Milliarde Menschen verhungern könnte. Eigentlich
müßte es eine Erschütterung der herrschenden Gewißheiten geben. Statt
dessen existiert so eine sozialdemokratische
Schönheitsoperationsmentalität. Das Schiff geht unter, aber man will die
eine Schraube noch ein bißchen andrehen, die andere ein bißchen lockern.
Die Vorstellung, man könne sich auf eine Insel der Seligen zurückziehen,
ist naiv.
In welche Richtung müßte sich Ihrer Ansicht nach die menschliche
Zivilisation entwickeln, und wie kommen wir vom Hier zum Dort? Kann eine
sozialistische Bewegung die notwendigen Veränderungen in Gang setzen?
Man müßte sich erst einmal einigen, was man unter »sozialistisch«
versteht. Für mich ist das, was Sie kommunistisch nennen,
staatskapitalistisch-bolschewistisch. Wenn solidarische Einheiten mit
Selbstverwaltung, Basisdemokratie, Geschlechtergleichheit und sozialer
Gerechtigkeit mit »sozialistisch« gemeint sind, dann natürlich, absolut
– zu hundert Prozent. Leider ist es ja so, daß viele Linke diese Ideale
mit Untertanengeist und dem Glauben an einen Staat verbinden, der das
regelt. Meiner Ansicht nach ist der Staat durch die weltgeschichtlichen
Erfahrung völlig diskreditiert. Ich kenne überhaupt kein Beispiel aus
der Weltgeschichte, wo man einem Staat, nach einer Übergangsperiode, in
der es Aufbrüche gab, attestieren könnte, er habe diese Ideale auch nur
ansatzweise verwirklicht. Der Staatsfetischismus der Linken muß
überwunden werden. Angesichts der heutigen Probleme ist es lächerlich,
wenn die Leute glauben, dadurch, daß sie die Linke wählen, gäbe es
ernstzunehmende Alternativen. Man muß das Rad nicht neu erfinden. Es
gibt eine Vielfalt von Ansätzen schon auf lokaler Ebene:
Basisdemokratie, alle möglichen Formen sozialer Netzwerke. Es existieren
ja nicht nur theoretische Überlegungen, sondern sehr viele tatsächlich
funktionierende Gemeinwesen. Eine unglaubliche Vielfalt von Lösungen für
ganz spezifische Probleme ist entstanden: Indische Frauengruppen
organisieren solidarisch den Zugang zum Wasser. Das wird aber
international unterlaufen, weil das Big Business davon nicht profitiert,
der Staat das nicht unterstützt und das mafiose Weltsystem von
Korruption und Unterdrückung überhaupt kein Interesse daran hat, daß
solche lokal sehr gut funktionierenden Strukturen sich ausbreiten. In
der Entwicklungshilfe werden gerade solche Projekte häufig nicht
gefördert. Da sie auch gar nicht so viel Geld brauchen, sind sie
suspekt, weil dann für alle Beteiligten nicht so viel abfällt. Die Leute
aus den selbstverwalteten Fabriken in Buenos Aires haben gezeigt, daß
sie im Moment des Zusammenbruchs in der Lage waren, die Sache selbst in
die Hand zu nehmen. Es gibt ökologische Ansätze in der Landwirtschaft
und eine enorme Bandbreite an Energiegewinnungsalternativen. Allein mit
dem Etat des Bundesverteidigungsministeriums könnten wir ganz
Deutschland innerhalb von wenigen Jahren auf die Nutzung nachhaltiger
Energien umrüsten. Das ist nur eine Frage des politischen Willens.
Bücher von Ilija Trojanow:
In Afrika (1993), Koautor: Michael Martin;
Naturwunder Ostafrika (1994), Koautor: Michael Martin;
Hüter der Sonne (1996), Koautor: Chenjerai Hove;
Die Welt ist groß und Rettung lauert überall (1996);
Autopol (1997);
Zimbabwe (1998);
Hundezeiten (1999);
Der Sadhu an der Teufelswand (2001);
An den inneren Ufern Indiens (2003);
Zu den heiligen Quellen des Islam (2004);
Der Weltensammler (2006);
Indien. Land des kleinen Glücks (2006);
Die fingierte Revolution. Bulgarien, eine exemplarische Geschichte (2006);
Nomade auf vier Kontinenten (2007);
Kampfabsage. Kulturen bekämpfen sich nicht – sie fließen zusammen
(2007), Koautor: Ranjit Hoskoté;
Der entfesselte Globus (2008);
Sehnsucht (2008), Koautorin: Fatma Sagir
Artikelaktionen