BAG kippt die Tarifeinheit - Ein Stellungnahme der FAU-Frankfurt a.M.
Die Rechtsnormen eines Tarifvertrags gelten für Beschäftigte durch
deren Gewerkschaftsmitgliedschaft nach § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1
Tarifvertragsgesetz (TVG) unmittelbar und zwingend.
Im Fall von Tarifpluralität sollen künftig bei den sogenannten
Individualnormen, die den Inhalt, Abschluss und Beendigung eines
Arbeitsverhältnisses regeln, wie auch bei den Inhaltsnormen, in denen
z.B. Lohn, Arbeitszeit, Pausen und Urlaub festgelegt sind, die
Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften für die jeweiligen
Mitglieder nebeneinander gelten.
Da das schriftliche Urteil noch nicht vorliegt, ist unklar, wie die
Regelung bei den betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen
Normen zukünftig sein wird. Dieser Bereich, in dem beispielsweise die
Lage der Arbeitszeit, Arbeitsschutzregelungen, Voraussetzungen für
Kurzarbeit und die entsprechenden Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats
geregelt sind, wurde in der Presseerklärung des BAG nicht explizit
erwähnt.
Wenn der zehnte Senat auch hier dem Antrag des vierten Senats gefolgt
ist, werden diese Kollektivnormen aber nicht im Rahmen des Tarifrechts
(also z.B. dieses Urteils) geregelt werden, sondern zukünftig im Rahmen
des Arbeitskampf- bzw. Betriebsverfassungsrechts.
Der Hintergrund
Bisher vertrat das BAG die Auffassung, dass bei mehreren existierenden
Tarifverträgen nur einer, der "speziellere", gelten könne. Damit war es
z.B. den "christlichen" Pseudogewerkschaften möglich, auf Wunsch der
Arbeitgeber Haustarifverträge abzuschließen und damit für ganze
Belegschaften einen geltenden und besseren Flächentarifvertrag einer
anderen Gewerkschaft auszuhebeln und ihnen den "Christentarif"
aufzuzwingen.
Ohne die Tarifeinheit und das dazugehörige "Spezialitätsprinzip" ist
dies, auch nach Einschätzung der Justiziare der IG Metall, nicht mehr
möglich. Je nach Gewerkschaftsmitgliedschaft würde der entsprechende
Tarifvertrag gelten.
Der Grundsatz der "Tarifeinheit" stammt nicht aus einem Gesetz, sondern
war eine der Erfindungen des BAG vor einigen Jahrzehnten. Durch diese
Regelung waren auch die Handlungsmöglichkeiten von Basis- oder
Spartengewerkschaften drastisch eingeschränkt. Sobald eine große
Gewerkschaft in einem Betrieb einen Tarifvertrag abgeschlossen hatte,
wurde anderen Gewerkschaften teilweise das Recht auf
Arbeitskampfmaßnahmen verweigert, da bereits ein Tarifvertrag existiere
und die Tarifeinheit sowieso nur einen Tarifvertrag erlauben würde.
(siehe Transnet vs. GDL)
Diese massive Einschränkung der grundgesetzlich garantierten
Koalitionsfreiheit (Art. 9 III 1 GG) scheint für das BAG ein
wesentlicher Grund zur Änderung der Rechtsauffassung gewesen zu sein.
Obwohl sich die Entscheidung schon länger abgezeichnet hat, war die
Aufregung im Lager der Arbeitgeber, aber auch bei SPD, DGB, Transnet
und GDBA groß. Die Forderung, die Tarifeinheit per Gesetz wieder
einzuführen, machte umgehend die Runde.
Schon am 4. Juni hatten DGB-Chef Sommer und Arbeitgeberpräsident Hundt
einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur "Tarifeinheit" - d.h. zur
Unterdrückung von Arbeitskämpfen in den Betrieben - präsentiert. Sommer
forderte u.a., dass bei der Existenz eines Tarifvertrages der
Mehrheitsgewerkschaft in einem Betrieb auch für alle anderen
Gewerkschaften die Friedenspflicht bestehen müsse. Damit wären
Arbeitskämpfe während der Laufzeit des vorrangigen Tarifvertrags der
Mehrheitsgewerkschaft ausgeschlossen.
Der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
Hundt verlangte, den Grundsatz der Tarifeinheit in Betrieben nach dem
BAG-Urteil gesetzlich zu regeln. Sonst drohe "die Zersplitterung des
Tarifvertragssystems, eine Spaltung der Belegschaften und eine
Vervielfachung kollektiver Konflikte".
Zuletzt entblödeten sich der Linkspartei-Vorsitzende Ernst und deren
Bundesgeschäftsführer Dreibus nicht, die Initiative des DGB zu
begrüßen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie nicht wussten, dass es sich
um eine gemeinsame Initiative mit den Arbeitgeberverbänden handelt,
deren Ziel es nicht nur ist, den Beschäftigten eine (DGB-)Gewerkschaft
aufzuzwingen, sondern auch möglichen Widerstand gegen die Folgen der
Wirtschaftskrise im Keim zu ersticken.
Besonders übel ist dabei, dass sie (und die SPD) bewusst die
Falschmeldung verbreiten, das Urteil würde "gelben" Gewerkschaften Tür
und Tor öffnen.
Aus unserer Sicht
Aus Sicht der FAU Frankfurt a.M. ist die Änderung der Rechtsauffassung
des BAG zu begrüßen. Schließlich unterliegen auch wir als kleine
Gewerkschaft den teilweise massiven Beschränkungen des deutschen
Arbeitsrechts und dessen drastischen Strafandrohungen im Falle von
Arbeitskämpfen. Ohne an dieser Stelle auf das durchaus problematische
Tarifvertragswesen genauer eingehen zu wollen, sollte es eine
Selbstverständlichkeit sein, dass Gewerkschaften
Kollektivvereinbarungen abschließen können - wenn sie dies wollen - und
dass diese dann auch von den Mitgliedern in Anspruch genommen werden
können.
Ein wichtiger Punkt bei diesem Urteil ist daher die zentrale Bezugnahme
auf die Koalitionsfreiheit, der eine höhere Bedeutung beigemessen wird
als möglichen "praktischen oder technischen Problemen" der Unternehmen.
Allerdings sind weiterhin eine Vielzahl von Einschränkungen der
Gewerkschaftsfreiheit in Deutschland vorhanden und daran ändert dieses
Urteil nur wenig. Die - ebenfalls in den 50er Jahren vom BAG erfundene
- "Tariffähigkeit" existiert weiterhin und schränkt die
gewerkschaftlichen Rechte und die Handlungsfähigkeit von kampfbereiten
Basisgewerkschaften dramatisch ein, während "gelbe" Gewerkschaften
wegen ihrer Gefälligkeitstarifverträge diese Rechte zugebilligt
bekommen.
Die Mindeststandards der Gewerkschaftsfreiheit, die von der
Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), einer Einrichtung der
Vereinten Nationen, definiert wurden und die von der deutschen
Regierung unterzeichnet sind, werden weiterhin nicht in deutsches Recht
umgesetzt und den Beschäftigten vorenthalten.
So bleibt Deutschland in Bezug auf die Gewerkschaftsfreiheit weiterhin
ein Entwicklungsland, in dem wir unsere elementaren Rechte als
Arbeiterinnen und Arbeiter erst noch selbst erkämpfen müssen.
(1) Tarifpluralität liegt vor, wenn der Betrieb des Arbeitgebers vom
Geltungsbereich zweier von verschiedenen Gewerkschaften geschlossenen
Tarifverträge für Arbeitsverhältnisses derselben Art erfasst wird, an
die der Arbeitgeber gebunden ist, während für den jeweiligen
Arbeitnehmer je nach Tarifgebundenheit nur einer der beiden
Tarifverträge Anwendung findet.
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