AIT-SP: Der Generalstreik in Portugal am 24. November 2010
Die portugiesische Gesellschaft hat in den letzten 50 Jahren einen
bemerkenswerten Wandel durchlebt. Beginnend mit einer raschen
Industrialisierung in den 1960ern, die vor allem durch ausländisches
Kapital angeheizt worden war, entstand eine kämpferischere und
organisierte Arbeiterklasse. Dann gab es einen Prozess der
Deindustrialisierung, in dessen Folge Portugal sich zu einem
Billiglohnland entwickelte, mit billigen Arbeitskräften wie in
Osteuropa oder Asien. Heute besteht die portugiesische Wirtschaft vor
allem aus kleinen ineffizienten Dienstleistungsunternehmen mit
ArbeiterInnen in prekären Beschäftigungsverhältnissen und niedrigen
Löhnen. Die ArbeiterInnen sind voneinander isoliert und es gibt keine
Tradition des Arbeitskampfes. Das ganze System ist seit 10 Jahren in
einem konstanten Krisenzustand mit den ArbeiterInnen als erstem Opfer.
Nach dem Fall der Caetano Diktatur und einer damit einhergehenden
Periode massenhafter direkter Aktionen kam es zu einer Demobilisierung
der ArbeiterInnen in den 1970ern. Heute realisiert die Linke, dass
niemand mehr übrig ist um die überlebenden Reste des Sozialstaates
wiederbeleben. Der Kampf gegen die kontinuierlichen brutalen Attacken
des Kapitals und die Aktivierung der Massen ist für sie zu gefährlich,
da sie Angst hat, dass die Angelegenheit ihren Händen entgleitet. Sie
führt ihre Kämpfe immer begrenzt und ineffizient aus: eintägige Streiks
beispielsweise.
Dieses Mal beteiligte sich die sozialistische UGT Gewerkschaft an dem
Streik, obwohl sie das Gefühl hatten, dass nicht viel zu tun sei, denn
ihre Partei ist sowieso an der Macht. Sie begnügten sich damit, um
Gefälligkeiten vom Staat zu betteln, damit Die Arbeiterklasse nicht
alle notwendigen Opfer für die internationale Finanzspekulation alleine
zu tragen hat. Und natürlich erreichten ihre Stimmen die höchsten Ränge
in der Regierung, beispielsweise die ehemalige UGT Bürokratin und
Arbeitsministerin Helena André, die jetzt mit der undankbaren Aufgabe
betraut ist mit ihren ehemaligen GenossInnen über den Streik zu
diskutieren. Die andere Gewerkschaft CGTP versucht über Populismus und
die Reproduktion der Slogans der kommunistischen Partei Stimmen zu
gewinnen, den die Präsidentschaftswahl steht kurz vor der Tür. Sie
palavert von der „Verteidigung des nationalen Kapitals“. Es bedarf
keiner Erwähnung, dass beide Parteien wenig dabei raus holen werden,
den die Leute haben sie zu oft in Aktion gesehen um ihnen noch Glauben
zu schenken.
Aufgrund der großen Unzufriedenheit und des Willens der Menschen etwas
zu verändern, war dieser Streik größer als der letzte im Jahr 1988. Für
einen Tag gab es weder eine U-Bahn in Lissabon, noch fuhren die Boote
von Lissabon nach Tagus. Es verkehrten nur wenige Busse und Züge.
Sämtlichen portugiesischen Häfen waren geschlossen und sämtlichen Flüge
von oder zu portugiesischen Flughäfen wurden storniert, sehr zur
Unzufriedenheit der Regierung, die zuvor noch die ArbeiterInnen
gedrängt hatte nicht zu streiken. Alle Schulen, sowie sämtliche
öffentlichen Behörden hatten geschlossen. In der Textilindustrie, in
denen die Gewerkschaften einigen Einfluss haben, war die
Streikbeteiligung relativ gering. Aber das Kronjuwel der
portugiesischen Industrie, die von französischen und deutschen Eignern
betriebene Fabrik Auto Europa, beteiligte sich am Streik und hielt ihre
Produktion für einen Tag an. Selbst so ein unternehmensfreundlicher
Apparatschik wie António Chora, Angehöriger des linken Blocks und Kopf
der ArbeiterInnen Kommission, beteiligte sich am Streik. Die meisten
Geschäfte, Supermärkte und Shopping-Malls hatten geöffnet und allein
die Streiks im Transportwesen konnten etwas dafür tun, KonsumentInnen
davon fernzuhalten. Es ist unnötig zu sagenm dass die meisten, wenn
nicht alle Call-Center geöffnet hatten und normal funktionierten.
Einigen von ihnen statten wir einen Besuch ab.
Selbst wenn der Streik groß gewesen ist, die von der CGTP beschriebene
Anzahl und augenblicklich von der kommunistischen Partei übernommenen
Zahlen von drei Millionen Arbeiter sind übertrieben. In Portugal, wo
die aktive Bevölkerung etwas mehr als fünf Millionen beträgt haben zwei
von fünf ArbeiterInnen einen befristeten Arbeitsvertrag und dazu kommen
noch ungefähr eine Millionen pseudo-unabhängige ArbeiterInnen. Sie
konnten dem Streik nicht beitreten ohne ihren Job aufs Spiel zu setzen,
selbst wenn sie genug Gründe zum demonstrieren haben.
Aktionen in Lissabon
Unsere direktren Aktionen vor und nach dem Generalstreik wurden von der
Bevölkerung gut aufgenommen. Das von uns verteilte Sonderflugblatt,
welches wir in der Woche vor dem Streik verteilt hatten, wurde von den
meisten interessiert angenommen und einige Leute fragten uns sogar nach
extra Kopien, um sie selbst weiter zu verteilen. Am Tag des Streiks
organisierten wir mit anderen anarchistischen GenossInnen informative
Streikposten. Am Morgen liefen wir durch Lissabon und verteilten unser
Sonderblatt und andere Flugblätter. Wir betraten verschiedene
Geschäfte, Restaurants, Supermärkte und Einkaufszentren, die geöffnet
hatten und verteilten Propaganda an die ArbeiterInnen. Viele waren froh
etwas zu erhalten, meinten aber dass sie sich nicht am Streik
beteiligen könnten, weil sie sonst gefeuert würden. Wir besuchten auch
verschiedene Call-Center, wo wir unsere Texte über Lautsprecher
vortrugen und die Angestellten dazu aufriefen sich an der abendlichen
antikapitalistischen Demonstration zu beteiligen.
Nach dem Mittagessen verteilten wir weiter Flugblätter und während wir
uns in Richtung des Camões Platzes begaben, wo die Demonstration
anfangen sollte, riefen wir die Menschen auf sich daran zu beteiligen.
Verschiedene antikapitalistische und antiautoritäre Kollektive hatten
zu der Demonstration aufgerufen. Sie begann um 15.00 Uhr auf dem Camões
Platz im Zentrum von Lissabon und lief unter dem Thema „Für Blockade
und Sabotage – Der Streik endet nicht hier!“. Dies war die einzige
Demonstration, zu der am Tag des General treiks in Lissabon aufgerufen
worden war. Es waren lediglich 200 Menschen als die Demonstration
begann aber im Lauf der Zeit wuchs sie auf 1000-1500 Personen an, die
gemeinsam Sprüche riefen wie „A...;Anti....,Antikapitalismus“, „Die
Menschen vereint, wir brauchen keine Partei“, „Sozialer Krieg gegen das
Kapital“ oder „Sabotage, wilder Streik“. Wir beteiligten uns mit
unseren rot-schwarzen Fahnen an der Demonstration und einem Banner auf
dem stand:“Gegen kapitalistische Ausbeutung! Für soziale Gleichheit!
Vereint und selbstorganisiert zeigen wir ihnen die Krise“. Gleichzeitig
verteilten wir die letzten Flugblätter die wir hatten.
Nach der Demonstration besetzten verschiedene Leute ein leeres Haus.
Sie nannten es „Haus des Streiks“ und verteilten kostenlos Essen an
alle die es betraten; es wurde am nächsten Tag von der Polizei geräumt.
Aktionen in Oporto
Während des Morgens des Generalstreiks gingen wir mit Fahnen, Trommeln
und einem Banner auf dem stand „Vereint und selbstorganisiert, wir
zeigen IHNEN die 'Krise'“ gemeinsam mit unseren GenossInnen des
anarchistischen Kollektivs Hipáti durch die alten und verelendeten
Viertel von Oporto. An verschiedenen Plätzen hielten wir Kundgebungen
ab, wir verteilten unsere Flyer an die Leute, und riefen sie dazu auf
sich zu der von den offiziellen Gewerkschaften abgehaltenen Kundgebung
auf dem zentralen Platz der Stadt zu begeben. Unsere Slogans waren:
„Keine Kürzung der Sozial- und Arbeitsrechte!“, „Es i genügt nicht die
Fliegen zu ändern – die ganze Scheiße muss weg!“,„Gegen Hunger und
Armut – nehmts von den Reichen!“, „Gegen Staat und Kapital – Sozialer
Widerstand und Soziale Revolution!“. Die Menschen nahmen unsere
Flugblätter neugierig an aber die meisten blieben Zuhause und schlossen
sich uns nicht an.
Mittags begaben wir uns mit einer größeren Gruppe zur São Bento
Bahnstation. Wir begannen einige Lieder zu singen wie eine
portugiesische Version des alten CNT Lieds "A la Huelga" während wir
weiter unsere Flugblätter an die Leute verteilten oder anhielten um
kurze reden über den Lautsprecher zu halten. Immer mehr Leute schlossen
sich uns an auf dem weg zum zentralen Platz des Ortes, Praça da
Liberdade. Währenddessen gaben die offiziellen Gewerkschaften eine
Pressekonferenz ganz in der Nähe.
Uns fiel auf, dass die meisten die sich uns anschlossen entweder
Mitglieder der kommunistischen Partei oder SympathisantInnen gewesen
sind. Sie waren neugierig und zeigt sogar einige Sympathie. Spontan
entschlossen wir eine kleine Versammlung zu verastalten bei der wir
alle Menschen baten in den Lautsprecher zu reden und uns ihre Gründe
für die Beteiligung am Generalstreik zu nennen. Auf einmal begann eine
andere Gruppe, wir vermuten die Mitglieder der kommunistischen Partei,
mit ihrem Lautsprecher den Platz zu beschallen, doch wir lieferten uns
einen lustigen Dialog mit ihnen, eine Art „Theater der Unterdrückten“.
Das verwirrte sie ein wenig und sie verließen den Platz.
Während der ganzen Zeit sahen wir weder Bullen, noch „offizielle“
GewerkschafterInnen. Selbst die erwartete Demonstration fand nicht
statt. Es war kein wirklicher Generalstreik aber es war eine
Demonstration des Misstrauens gegen die Regierung. Der Staat, die Bosse
und Manager werden mit der Krise umgehen müssen, die wir für sie
bezahlen sollen.
Associação Internacional dos Trabalhadores, Secção Portuguesa – AIT-SP
Lisbon, 14. Dezember, 2010
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