Dokumentation: Strike-Bike als Marke
Strike-Bike als Marke
Peter Nowak 02.10.2007
Eine kleine Fahrradfabrik in Thüringen, die geschlossen werden sollte und von den Arbeitern nun als selbstverwalteter Betrieb fortgeführt wird, hat eine erfolgreiche Kampagne starten können
Eine kleine Fahrradfabrik im thüringischen Nordhausen fand Aufmerksamkeit in
Griechenland,
Ungarn und den
USA und schafft einen Nachfrageboom bei Fahrrädern. Die 135 Mitarbeiter des
Zweigwerks der Firma
Bike-Systems
in Thüringen können wieder Hoffnung schöpfen, ihre Arbeitsplätze zu
behalten, seit sie mit Unterstützung der kleinen
anarchosyndikalistischen
Freien Arbeiter-Union auf die Idee kamen, ein
Strike-Bike zu produzieren. Von einen überwältigenden Erfolg des
Aufrufs
sprechen die Arbeiter und ihre Unterstützer jetzt. Dabei waren die
Arbeiter vor wenigen Monaten eher verzweifelt als optimistisch.
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Das Strike Bike als Damen-Fahrrad |
Als sich abzeichnete, dass es für die Firma keine Investoren gab, besetzten die 135 Beschäftigen das Werk am 10. Juli 2007. Für sie stand viel auf dem Spiel. Die Arbeitslosigkeit in der Region ist hoch.. Die Fabrik war 1986 als VfB IFA Motorenwerk gegründet worden und hatte nach der Wende unterschiedliche Eigentümer.
Nach längeren finanziellen Problemen wurden zum 22.12.2005 die Werke Neukirch-Sachsen mit knapp 230 Mitarbeitern und die Fabrik in Nordhausen-Thüringen von einer Tochtergesellschaft des US-amerikanischen Finanzinvestor Lone Star mit dem Ziel gekauft, diese fit für den Weltmarkt zu machen. Schon wenige Wochen später war klar, dass eine der beiden Firmen aus Rentabilitätsgründen geschlossen werden wird. Am 30.Juni wurde bekannt gegeben, dass das Nordhausener Werk davon betroffen war. Bei Verhandlungen zwischen den Vertretern der Arbeitnehmer und der Geschäftsführung sollte es nur noch darum gehen, wie das Werk am schnellsten und günstigsten abgewickelt wird. Die Forderungen der Beschäftigten waren moderat. Sie wollten die Aufstellung eines Sozialplans, die Einrichtung einer Auffanggesellschaft und die Prüfung von Möglichkeiten zum Erhalt der Arbeitsplätze durchsetzen.
In der Fabrik gab es keine wahrnehmbaren gewerkschaftlichen Strukturen. Das dürfte das Management zum dem Fehlschluss verleitet haben, bei den Verhandlungen mauern zu können. Statt zumindest Kompromissbereitschaft vorzutäuschen, beantragte die Geschäftsleitung die Räumung des Werk, das von der Belegschaft im Rahmen einer Betriebsversammlung seit dem 10.Juli besetzt gehalten wurde. Zwar demonstrierten alle politischen Kräfte mit den Beschäftigten Solidarität, doch nur die FAU machte mit dem Projekt Strike-Bike einen konkreten Vorschlag für einen Weiterbetrieb. Ein Aktivist schilderte den Kontakt zwischen Belegschaft und der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft so:
Kaum jemand dort kannte die FAU, einige wussten zumindest
grob, was der Anarchosyndikalismus ist. Doch unser konkreter Vorschlag
wurde mit dem Kommentar aufgegriffen: Lasst es uns probieren. Wir haben
nichts mehr zu verlieren.
Die Tatsache, dass DGB-Gewerkschaften in dem Werk nicht Fuß fassen
konnten, hatte die pragmatische Zusammenarbeit mit der FAU sogar
erleichtert. Denn durch feste DGB-Strukturen wird in der Regel sehr
streng darauf geachtet,
dass Konkurrenten von links dort gar nicht erst Fuß fassen können. Dazu
werden mitunter auch Verbote und andere administrative Maßnahmen
angewandt. Die Arbeiter in Nordhausen haben sich hingegen immer gegen
jegliche Bevormundung von Parteien und Gewerkschaften gewandt.
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Das Strike Bike als Herren-Fahrrad |
Traum von der Arbeiterselbstverwaltung
Die Aktivisten der FAU haben allerdings jetzt in der
Belegschaft Achtung gewonnen, weil sich ihre Initiative "Strike-Bike"
als erfolgreich erwies. Schon knapp eine Woche nach dem Aufruf gab es
ca. 1500 Bestellungen aus der ganzen Welt. Es ist schon erstaunlich,
dass Menschen, die wahrscheinlich noch nie von Nordhausen gehört haben,
ein Fahrrad zum stolzen Preis von 275 Euro ordern. Der Grund ist das
Konzept der selbstverwalteten Produktion, das seit dem kurzen Sommer der Anarchie in Spanien 1936 viele
Anhänger gefunden hat, obgleich seither alle Versuche immer nur kurzlebig waren, wie bei der auch international bekannten Uhrenfabrik
Lip in Frankreich Anfang der 70er Jahre.
In letzter Zeit sorgten selbstverwaltete Fabrikein in Argentinien und
Venezuela für Aufmerksamkeit. Wie in Nordhausen ging es in allen
Beispielen immer um existentielle Nöte der Beschäftigten, in deren
Werke niemand mehr investieren wollte. Doch die Selbstverwaltung sorgte
bald auch für einen Bewusstseinswandel bei den Betroffenen, wie es sich
beispielsweise bei der argentinischen Kachelfabrik Zanon
zeigte.
Ob den Nordhausener Fahrradwerkern genügend Zeit bleibt, damit sich die
selbstverwaltete Arbeitsweise auch auf die Beziehungen der
Beschäftigten auswirkt, ist noch offen. Selbst die Unterstützer gehen
zunächst davon aus, dass die Produktion bis zum Jahresende weiter
läuft.
Ob es dann weitergeht, wird auch davon abhängen, ob die Marke Strike-Bike eine Marke wird, für die die Kunden bereit sind, mehr Geld auszugeben. Bisher klappt das kontinuierlich bei Brandings wie Nike, Adidas etc. Nichtregierungsorganisationen versuchen schon seit Jahren umweltverträgliche Produktion oder fairen Handel zu einer Marke zu machen, für die es sich lohnt, mehr Geld auszugeben. Beim Bio-Label ist das ansatzweise gelungen. Nun muss sich zeigen, ob die selbstverwaltete Produktion zu einem ebenso erfolgreiches Kundenlabel werden kann. Dann könnte die kleine Fahrradfabrik in Nordhausen sogar eine Pilotfunktion erfüllen.
Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26324/1.html
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