Nachruf auf Rolf Pohle (+07.02.2004)
Sein Leben war politisch. Dadurch hat er viel Unmenschlichkeit
erfahren: Zum einen global durch den Imperialismus, zum andern
persönlich durch die deutsche Justiz.
Er selbst hatte Jura studiert und kam aus einer Juristenfamilie.
Nachdem er Vorstand des zunächst FDP-nahen Liberalen Studentenbundes,
dann Vorsitzender der Studentenvertretung der Universität München
gewesen war, gründete er die Rechtshilfe der Außerparlamentarischen
Opposition.
Die APO hatte sich in Studierendenkreisen als Antwort auf die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD gebildet.
Zu dieser Zeit arbeitete Rolf Pohle bereits als Rechtsreferendar und
beobachtete sowohl den willkürlichen Umgang der Polizei mit den
Demonstranten als auch die rechtliche Ohnmacht der Verhafteten während
der Studentenproteste.
Die Rechtshilfe nahm während der Osterdemonstrationen 1968 ihre Arbeit
in dem Einzimmerappartement Rolf Pohles auf. In ganz Deutschland gab es
Proteste nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am Gründonnerstag in
Berlin. Verantwortlich für dieses Attentat war die Bildzeitung durch
ihre Hetzkampagnen. Deswegen sollte die Auslieferung der Bildzeitung
für den Karsamstag verhindert werden.
In München besetzte man das Haupttor der Bildzeitungsauslieferung.
Hinter dem verschlossenen Tor war bereits die Polizei und fotografierte
die Ereignisse draußen, während man dort begann, Pflastersteine, Latten
und Baumaterial von einer nahegelegenen Baustelle heranzutragen und vor
das Tor zu legen. Als die Polizei mit Wasserwerfern angefahren kam,
wurden spontan Ketten gebildet, um den Barrikadenbau voranzubringen.
Die Ausfahrt wurde durch die Polizei geräumt, indem die Demonstranten
zurückgetrieben wurden. In der Nacht kam es zu etwa siebzig Festnahmen,
während die Polizei verkündete, sie habe selbst einige Ausgaben der
Bildzeitung über die Dächer ausgeliefert.
Die Auslieferung der Karsamstagsausgabe konnte nicht verhindert werden.
Am Ostermontag gab es den alljährlichen Ostermarsch für Demokratie und
Abrüstung. Diesmal war die Beteiligung viel höher als in den Vorjahren.
Auf dem Viktualienmarkt hat auch Rolf Pohle vor Zehntausenden
gesprochen und eine Erklärung zum Dutschke-Attentat verlesen. Hier
wurde dann beschlossen, am Abend die Auslieferung der Bildzeitung
tatsächlich zu verhindern. Pohle hatte Bedenken, weil es bereits am
Freitag zu Massenverhaftungen gekommen war und die meisten
Demonstranten nicht wußten, wie sie sich verhalten sollten oder daß sie
das Recht haben, bereits bei der Festnahme einen Anwalt zu verlangen.
Deswegen wurde die Rechtshilfe eingerichtet, so daß während der
Demonstrationen Anwälte bereit standen, ein Mandat zu übernehmen.
Die Ostermontags-Demonstration wurde von der Gesamtbevölkerung
getragen: Sie bestand zu je einem Drittel aus Studenten, Lehrlingen und
Arbeitern. Das wurmte Polizei und Politiker. Doch trotz des großen
Widerstands wurde die Bildzeitung mit aller Polizeigewalt ausgeliefert.
Das Resultat war: zahlreiche Verletzte, ca. hundertfünfzig Festnahmen
und zwei Tote, ein Student und ein polizeikritischer Pressefotograf.
Sie waren nicht die ersten auf einer Demonstration Getöteten: Bereits
im Vorjahr war bei Protesten gegen den Schahbesuch am 2. Juni in Berlin
ein Theologiestudent grundlos von einem Polizisten erschossen worden.
Wegen Teilnahme an den Osterdemonstrationen kam es für Rolf Pohle und
auch andere zu strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Der Vorwurf war,
er habe Straßenbarrikaden mitgebaut. Die Beweise in diesem Verfahren
waren sehr vage: Aufgrund eines Films des ZDF mit Bildern der
Karfreitagsdemonstration sollte er überführt werden. Als der Film im
Schwurgericht vorgeführt wurde, zeigte der Staatsanwalt auf eine dunkle
und nicht zu erkennende Gestalt und sagte: "Hier sehen Sie den
Angeklagten." Im Saal brach ein schallendes Gelächter aus, weil außer
einem schwarzen Schatten nichts zu erkennen war.
Ein weiteres Beweismittel war eine Rede im Studentenparlament, in der
Pohle das Verhalten der Demonstranten verteidigte. Obwohl ihm keinerlei
Gewalttätigkeit vorgeworfen wurde, er selbst als Student physische
Angriffe auf seine Gegner ablehnte, wurde er wegen schweren
Landfriedensbruchs 1969 zu fünfzehn Monaten Haft ohne Bewährung
verurteilt, weil er mindestens einen Pflasterstein, eine Tonne und eine
Latte vor das Tor des Buchgewerbehauses gelegt und sich am Sitzstreik
beteiligt habe. Das war die Höchststrafe für ein derartiges Verfahren,
mehr hätte dafür nicht verhängt werden können. Dieser Prozeß sollte
dazu dienen, Pohle als Verteidiger zu diskreditieren. Der Redakteur und
Jurist Ernst Müller-Meininger nannte in der Süddeutschen Zeitung das
Urteil einen "Exzeß der Justiz zur rücksichtslosen Durchsetzung der
Staatsraison".
Daß durch das Vollziehen des hohen Strafmaßes ein unrealistisches
Beispiel für spätere Verurteilungen in ähnlichen Fällen geschaffen
worden wäre, war Grund für eine Amnestie: Die Staatsmacht sah selbst
ein, daß sie nicht jeden demonstrierenden Studenten jahrelang
wegsperren konnte. Doch wegen der nicht rechtskräftigen Verurteilung
wurde Rolf Pohle die Teilnahme am zweiten Staatsexamen untersagt. Mit
einer Klage mußte er sich einen weiteren Termin für die letzte
Examensprüfung nach dem Referendariat erzwingen, fiel aber dann mit der
knappsten Note durch.
Für etwa ein Jahr arbeitete er mit Freunden 1970/71 als
Transportarbeiter bei der Oper. Zu dieser Zeit gab es keine
Studentenbewegung mehr, sie war abgewürgt für die einen durch
massenhafte Verfolgung durch Polizei und Justiz, für die anderen durch
Amnestie oder Gründung einer linken Universität in Bremen, während Rolf
Pohle vom Staatsschutz bedrängt und nicht nur diskret, sondern offen
und provokativ beschattet wurde. Wenn er morgens das Haus verließ,
riefen sie ihm "Guten Morgen, Herr Pohle!" aus ihrem Wagen zu. Einmal
gönnte er sich den Witz, sie als Taxifahrer anzusprechen: "Zum
Goetheplatz, bitte!"
Doch ihn beengte und beängstigte diese Situation. Die Hetze ging
weiter. Was auch immer sich an Verbrechen ereignete, gelangte die Linke
gleich ins Visier der Ermittlungen. Während einer Heimfahrt mit dem
Taxi sprangen Polizisten mit Maschinenpistolen unweit seines Hauses auf
das Fahrzeug zu und zerrten Pohle und den Taxifahrer heraus, um sie an
die Wand zu stellen und zu durchsuchen. Dies Provokation war kein
Einzelfall, mehrmals wurde er verfolgt und festgenommen, bis er dann im
Frühjahr 1971 untertauchte.
Nach einer Kindesentführung gab es abermals eine Hetzjagd nach ihm. An
diesem Abend wollte er seine Mutter besuchen, doch vor der Haustüre
standen Wagen des Geheimdienstes und der Polizei. Während er die Türe
öffnete, sprangen die Beamten aus ihren Autos, nur war Pohle schneller
und konnte die Tür hinter sich schließen. Statt in die Wohnung zu
gehen, entschwand er im Dunkeln durch den Keller über Hintergärten in
den weitverzweigten Englischen Garten. Am nächsten Morgen gab es die
großen Schlagzeilen in den Zeitungen.
Rolf Pohle hatte Angst, ihm würden Beweismittel der Entführung
untergeschoben, oder er könnte bei einer weiteren Festnahme durch die
Polizei erschossen werden. Seine Angst war nicht unbegründet, in jener
Zeit wurden etliche nicht festgenommen, sondern erschossen. Dazu kam
die ständige Diffamierung seiner Persönlichkeit und der Linken
allgemein in der Öffentlichkeit durch die Presse.
Diese Erfahrungen machten ihm das Leben in der Legalität unerträglich.
Er flüchtete in den Untergrund. Doch die Angst und die ständige
Lebensgefahr blieben. Man muß sich ständig verbergen, sich von seinem
sozialen Umfeld lösen, ständig die Kleider und die Wohnungen wechseln:
Man ist isoliert. "Untergrund ist mindestens halber Knast, ... halbe
Isolationshaft."
Für ihn war das kein Leben, was man jahrelang führen konnte. Bereits
nach einigen Monaten wurde er in Ulm am 18. Dezember 1971 verhaftet.
Nach dem Urteil von 1974 war er von Mai bis Oktober 1971 Mitglied bei
der RAF. Ihm wurde vorgeworfen, Waffen beschafft zu haben. Der Prozeß
dauerte fast sechs Monate. Er war der erste große RAF-Prozeß. Die
Beweislage war schwierig, weil bei der Gegenüberstellung die
Waffenhändler Ralf Pohle nicht kannten. Doch selbst ein vorsichtiger
Gerichtsreporter berichtet tendenziös: "Zeugen erkennen Pohle nicht
wieder!" Durch die Stimmungsmache in den Medien stand der Prozeß
bereits unter ungünstigen Bedingungen. Pohle wurde zu sechseinhalb
Jahren Haft verurteilt. Die Isolationshaft setzte ihm furchtbar zu. Um
eine Verbesserung der Haftbedingungen zu erreichen, trat er in
Hungerstreik.
Fünf Tage vor der Berliner Senatswahl wird am 27. Februar 1975 der
Spitzenkandidat der CDU, Peter Lorenz, von der Bewegung 2. Juni
entführt. Als Bedingung für seine Freilassung wird die sofortige
Haftentlassung von sechs ausgewählten Häftlingen, u.a. Rolf Pohle,
verlangt. Für die Befreiung der Gefangenen stellte die Bewegung 2. Juni
mehrere Bedingungen. Zum einen sollten sie auf dem Flug von Pfarrer
Heinrich Albertz begleitet werden. Die Auswahl des Begleiters als
Faustpfand war bewußt gewählt: Die Erschießung Benno Ohnesorgs durch
einen Polizisten in Berlin am 2. Juni 1967 war genau in die Amtszeit
Heinrich Albertz" als Regierender Bürgermeister gefallen.
Zum andern sollte ihnen einhundertzwanzigtausend Mark mitgegeben
werden. In diesem Punkt kam es zu Differenzen auf dem Frankfurter
Flughafen. Rolf Pohle zählte das übergebene Lösegeld nach und bemerkte
dabei, sie hatten weniger als gefordert und zugesagt erhalten. Er
bestand auf der Erfüllung aller Bedingungen unter der Androhung: "Dann
fliegen wir nicht!" Weil er darauf bestand, daß die Forderungen der
Bewegung 2. Juni eingehalten wurden, wurde ihm später ein weiterer
Prozeß angehängt. Dort stellte sich heraus, daß ein Kriminalbeamter
eigenmächtig die Summe gekürzt und zwanzigtausend Mark einbehalten
hatte. Vor dem Abflug bekam jeder noch ein Ticket mit dem Aufdruck
"Freiflug".
Das Flugziel Jemen wurde erst am 3. März in der Luft bestimmt. Den
Befreiten wurde im Jemen politisches Asyl angeboten. Nachdem Albertz am
4. März nach Deutschland zurückgekehrt war, nannte er im Fernsehen das
Losungswort, und Peter Lorenz wurde daraufhin in einem Berliner Park
freigelassen.
Von Jemen führte Rolf Pohles Weg nach Griechenland. Nachdem er auf der
Insel Mykonos von einem deutschen Touristen erkannt worden war, wurde
er bald darauf von einem ganzen Agentenheer des
Bundesnachrichtendienstes quer durch Griechenland gejagt. Einmal konnte
er dem Agenten Mauss entkommen, bevor er im Juli 1976 in einem Athener
Lokal festgenommen wurde. Die Bildzeitung titelte: Deutschlands
gefährlichster Terrorist gefaßt.
Der griechische Staatsgerichtshof hatte über eine Auslieferung nach
Deutschland zu entscheiden, weil nach griechischem Recht niemand
ausgeliefert werden darf, wenn er in einem politischen Prozeß
verurteilt werden soll. Weil Pohle wegen Mitgliedschaft in der RAF in
München zuvor verurteilt und inhaftiert worden war, deshalb auch wieder
gesucht wurde, handelte es sich eindeutig um ein einen politischen
Fall, so daß am 20. August 1976 gegen eine Auslieferung entschieden
wurde.
Die deutsche Regierung aber setzte Griechenland unter Druck, indem sie
den Beitritt Griechenlands zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
(EWG) für gefährdet erklärte, "wenn Athen sich nicht in den Kampf gegen
den internationalen Terrorismus einreihe". Die Antwort der griechischen
Bevölkerung auf diese Erpressung fand sich auf Plakaten in den Straßen
Athens: "Freiheit für Pohle!" Doch trotz der starken Proteste in Athen
gaben die griechischen Gerichte am 1. Oktober dem enormen Druck des
mächtigen Westeuropa nach, revidierten ihr Urteil und beschlossen die
Auslieferung.
In München wurde Rolf Pohle wegen räuberischer Erpressung ein weiterer
Prozeß gemacht, eben weil er bei der Freilassung auf dem Flughafen
Frankfurt auf der ausgemachten Geldsumme bestanden hatte. Dafür erhielt
er zusätzlich dreieinhalb Jahre Gefängnis. Eine Verteidigung oder
Revision lehnte Pohle ab. An ein gerechtes Verfahren glaubte er nicht
mehr. Und er behielt recht: Selbst an ihre Zusicherung gegenüber der
griechischen Regierung, ihn wie einen normalen Gefangenen zu behandeln,
haben sich Gericht und Regierung nicht gehalten.
Nachdem er die gesamte Haftstrafe verbüßt hatte, wurde er im September
1982 aus dem Gefängnis in Kaisheim entlassen. Er hätte nun ein freier
Mensch sein müssen, war es aber doch nicht, weil er immer noch verfolgt
wurde. Einmal stürmten Sondereinheiten ein Lokal und führten ihn mit
Maschinenpistolen an Schläfe und Bauch ab. Auf dem Revier wurde
erklärt, man habe ihn mit Helmut Pohl verwechselt, weil auf dessen
Fandungsplakaten Rolf Pohles Gesicht gedruckt war, obwohl es zwischen
ihnen überhaupt keine äußerliche Ähnlichkeit gab. Solche Verwechslungen
häuften sich.
Auf dem Münchner Flughafen wurde er immer noch als Terrorist in den
Listen geführt und während einer Reise festgenommen. Daß er nach seiner
Haft immer noch als Terrorist geführt wurde, galt für ganz Deutschland,
für die ganze Welt. Damit bestand die Angst, festgenommen oder
erschossen zu werden, weiter. Seit 1985 lebte und arbeitete er bis zu
seiner schweren Erkrankung als Deutschlehrer, Übersetzer und
Schriftsteller in Athen.
Ein Interview mit Rolf Pohle aus dem Jahr 1985 ist in griechischer
Sprache 1999 in Athen und 2002 unter dem Titel "Mein Name ist Mensch"
beim Karin Kramer Verlag in Berlin erschienen. Die Zitate im
vorliegenden Text sind, soweit nicht anders angegeben, diesem Buch
entnommen.
Frank Bärmann
Anmerkung: Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe der
Graswurzelrevolution veröffentlicht - die auch wegen der anderen
Artikel empfehlenswert ist.
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