Sans papiers besetzen die Räumlichkeiten der CGT im Pariser Gewerkschaftshaus
Die
Konflikte um die Kampfführung des Gewerkschaftsbunds CGT im aktuellen
Streik der „illegal eingewanderten“ Arbeiter (travailleurs sans
papiers) eskalieren in den letzten Tagen. Seit dem vergangenen Freitag
(2. Mai) besetzt die „Pariser Koordination der Sans papiers“ nun mit
circa 200 bis 300 Personen die Lokale der CGT und das Pariser
Gewerkschaftshaus, um Druck für ihre Forderung zu entfalten, 1.000
ihrerseits zusammengestellte Dossiers zu akzeptieren und ebenso wie die
bei den Präfekturen (= Polizei- und Ausländerbehörden) eingereichten
1.000 Dossiers als (vor)dringlich zu behandeln. Was die CGT ihrerseits
ablehnt, mit der Begründung, jene, die sich selbst gewerkschaftlich
organisieren und an einem Streik teilnehmen, seien als
Verhandlungsteilnehmer vorrangig, „dies ist nun einmal die Basis des
Gewerkschaftswesens“ (so die CGT-Sekretärin Francine Blanche).
Dies hat durchaus seine Logik, denn tatsächlich definiert sich die Aktivität einer Gewerkschaft nun einmal zuvörderst über die aktive Solidarität und das eigene Einbringen in kollektive Streiks. Es hat ebenfalls seine Logik, dass die CGT „ihre“ derzeit bei den Präfekturen in Paris und in den Bezirkshauptstädten im Pariser Umland eingereichten Dossiers von Streikteilnehmern zuerst behandelt sehen möchte: Alle Kollektive und Koordinationen von Sans papiers, die bislang existieren und (infolge von Demonstrationen, Besetzungsaktionen, öffentlichem Druck usw.) de facto als Verhandlungspartner der Staatsmacht auftreten können, handeln ihrerseits ähnlich. Wenn die Präfektur einem Sans papiers-Kollektiv zu erkennen gibt, dass sie bereits sei, 200 Personen zu „legalisieren“, dann wählt das Kollektiv seinerseits 200 Namen aus, um sie bei der Präfektur einzureichen - und tut dies unter Berücksichtigung derjenigen, die selbst beim eigenen Kollektiv organisiert oder dort aktiv sind.
Insofern
handelt es sich um eine nachvollziehbare, aber beklagenswerte
„Konkurrenz“logik, die jedoch aufgrund des Handelns der Gegenseite
quasi unvermeidlich zu werden schien: Die Pariser Regierung hatte der
CGT signalisiert, das sie bereit sei, 1.000 „Legalisierungen“ in
Erwägung zu ziehen, hat ihr aber zugleich als Gegenleistung
abgefordert, die aktuelle Bewegung zu „beruhigen“. Also keine neuen
Streiks für „Legalisierung“ unmittelbar nachkommen zu lassen. Und wenn
man genaue Kenntnis davon hat, dass die Gegenseite nun einmal bereit
ist, 1.000 Personen zu „legalisieren“, aber nicht mehr, dann steckt man
selbst in der Bredouille, weil man selbst quasi zum „Auswählen“ der
„guten“ Dossiers gezwungen wird.
Dafür
kann die CGT (bis zu diesem Punkt) nichts, denn sie wird selbst durch
die Regierung dem Zwang dieser Logik ausgesetzt. Dennoch bleibt ein
schaler bis negativer Nachgeschmack bei diesen Auseinandersetzungen
übrig; dafür sorgt die Kombination aus mehr oder minder abgeschotteten
Verhandlungen zwischen dem Ministerium „für Einwanderung und nationale
Identität“ von Brice Hortefeux (wo die beiden CGT-Repräsentanten
Raymond Chauveau und Francine Blanche am 21. April empfangen wurden),
einer defensiven Kampfführung und der momentanen Ablehnung einer
Ausweitung der Streiks durch die CGT. Es ist also völlig normal und
nicht ungewöhnlich, dass jene, die nicht zu den 1.000 „prioriären
Dossiers“ (also vorrangig, als dringlich behandelten Akten) gehören,
sich „ausgegrenzt“ fühlen und ihre eigene Berücksichtigung reklamieren.
Das Dilemma, durch das „Nadelöhr“ der durch die Gegenseite derzeit
angekündigten bzw. „gewährten“ eintausend Legalisierungs-Anträge
hindurch zu müssen, lässt sich dadurch allein aber noch nicht auflösen.
Hinzu
kommt aber - und an diesem Punkt wird es vollends kritikwürdig - die
Logik, durch die jedenfalls ein Teil der CGT ihre
„Legalisierungs“politik begleitet. Die Sekretärin des
Gewerkschaftsbunds, Francine Blanche, die am 21. April an dem Termin
mit dem Ministerium „für Einwanderung und nationale Identität“ von
Brice Hortefeux teilgenommen hat, sprach im Anschluss daran von
„nützlicher“ bzw. „ausgesuchter Einwanderung“. Und griff dabei einen
Begriff der amtierenden Rechtsregierung auf (l'immigration choisie),
wobei sie versuchte, das hinter der durch Nicolas Sarkozy erfundenen
Begrifflichkeit stehende Konzept für die von ihr „betreuten“,
arbeitenden Einwanderer nutzbar zu machen: Die regierenden
Konservativen verstehen unter „ausgesuchter Einwanderung“ im Kern eher
eine auf die Zuwanderung von hochqualifizierten oder
hochspezialisierten Arbeits- und Führungskräften begrenzte
Einwanderung, über deren Zulassung Frankreich allein zu entscheiden
habe. Francine Blanche versucht dieses Konzept nun ein bisschen
umzudrehen. Nach ihren Worten wurden die jetzt streikenden
Arbeitskräfte ja „durch ihre Arbeitgeber ausgewählt/ausgesucht“ und
seien zudem für die französische Ökonomie unbestreitbar nützlich.
Insofern, so argumentiert Francine Blanche, handele es sich da doch
auch um „ausgesuchte Einwanderung“. Dieses Spiel mit einem Konzept, das
durch die Regierungspolitik aufgebracht worden ist, mag zwar im
konkreten Falle für die konkret am Streik beteiligten „illegalen“
Einwanderer nützlich sein. Es bedeutet aber zugleich, das
instrumentelle, utilitaristische und sozialdarwinistische Grundkonzept
der Regierung zu akzeptieren und sich ihre Fragestellung zu eigen zu
machen: Wer ist „für uns von Nutzen“ (und wird also durch die CGT
‚betreut'), welches Dossier ist hingegen „schlecht“? An diesem Punkt
müsste die Kritik, auf eine scharfe Analyse gestützt, ansetzen.
Bernard Schmid, Paris, 06.05.2008
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