Rumänien: Arbeiter aus Bangladesh eingesperrt
Zwei Monate eingesperrt
Die ersten Arbeiter aus
Bangladesh, die wir im Stadtzentrum von Bacau kennenlernen, gehören zu
den 74 Bauarbeitern, die seit etwa drei Monaten bei der Firma Rombet
S.A. beschäftigt sind. Zusammen mit einheimischen Bauarbeitern arbeiten
sie auf der Großbaustelle für ein neues Einkaufszentrum. Über Essen und
Unterkunft können sie sich nicht beklagen. “Aber der Lohn ist viel zu
niedrig! Wir haben einen Vertrag über 500 US-Dollar bei acht Stunden am
Tag. Wir arbeiten aber 10 Stunden täglich, einschließlich Samstag, und
erhalten nur 375 US-Dollar!”
Sie kennen einige ihrer Landsleute
bei der Wear-Company. In Dhaka, Bangladesh, wurden sie alle über die
Agentur Al Abas International nach Rumänien vermittelt. Die Gebühren,
die die Agentur erhebt und für die die Arbeiter selber aufkommen
müssen, sind enorm: etwa 3 500 US-Dollar pro Person. Um diese hohe
Summe aufbringen zu können, haben viele einen Bankkredit oder eine
Hypothek für das Haus der Familie aufgenommen. Die Ratenzahlungen plus
Zinsen müssen sie nun von ihrem Lohn abstottern.
Es ist
Sonntag, der einzige freie Tag in der Woche, an dem die Textilarbeiter
aus Bangladesh gewöhnlich den Bus ins Stadtzentrum von Bacau nehmen und
im Park in Gruppen spazieren gehen. In den letzten Wochen durfte jedoch
keiner das Fabrikgelände verlassen. Das Tor blieb zugesperrt und der
Wachschutz ließ niemanden raus. “Die Arbeiter von Wear Company sind
seit zwei Monaten eingeschlossen. Sie dürfen die Fabrik nicht
verlassen. Das ist wie Gefängnis!” erzählt uns einer der Bauarbeiter
von Rombet. Aber wir haben Glück: An diesem Sonntag dürfen die
Textilarbeiter wieder mal raus und wir können mit ihnen über ihre
Situation sprechen.
Sie sagen, die Firmenleitung habe ihnen
erzählt, dass es Probleme mit der Ausländerpolizei gäbe und sie
deswegen nicht die Fabrik verlassen dürfen. Die Arbeiter vermuten, dass
die Firma zu dieser Maßnahme gegriffen hatte, weil zuvor 20 ihrer
Kollegen verschwunden waren. Möglicherweise sind diese über die Grenze
in ein anderes europäisches Land gegangen, um dort bessere Arbeit zu
finden.
Der Trick mit den Überstunden
Die Arbeiter
aus Bangladesh(2) sind Näher und haben einen Vertrag über 8 Stunden am
Tag, 40 Stunden in der Woche, für die sie 400 US-Dollar erhalten
sollen. Tatsächlich arbeiten sie regelmäßig 60 Stunden in der Woche und
bekommen nach Abzug der Kosten für Essen und Unterkunft 640 RON (253
US-Dollar). “Das ist viel zu wenig! Unsere Familien sind auf unser Geld
angewiesen. Hinzu kommen die Ratenzahlungen und Zinsen für die Kredite,
die wir aufgenommen haben.” Ein Teil des Geldes, dass sie nach
Bangladesh überweisen, wird außerdem von Geldtransfer-Unternehmen wie
Western Union als Bearbeitungsgebühr einbehalten, bei niedrigen
Geldbeträgen sind das etwa zehn Prozent (!) des Gesamtbetrages.
Von
den vertraglich vereinbarten 400 US-Dollar zieht der Arbeitgeber
monatlich 147 US-Dollar ab. Das ist für die Unterkunft in einem
Wohnheim auf dem Fabrikgelände, wo jeweils 9 Männer zusammen in einem
Zimmer in Drei-Stock-Betten schlafen müssen. Dazu kommt das Essen, das
die Firma stellt, aber nicht ausreichend ist. Häufig sind die Arbeiter
nach den Mahlzeiten noch hungrig.
Nach rumänischem
Arbeitsgesetz dürfen Arbeiter im Monat 38 Überstunden anhäufen, die
über ein Zeitkonto in den Folgemonaten wieder ausgeglichen werden
müssen. Jede weitere geleistete Überstunde muss mit 100 Prozent
Zuschlägen entlohnt werden. Um die Rechnung zu Ende zu führen: Bei 20
Überstunden pro Woche klaut Wear Company monatlich jedem einzelnen
Arbeiter 400 US-Dollar Lohn, der ihm zusätzlich zustehen müsste.
Dieser
Trick mit den Überstunden ist bekannt. Im rumänischen Sibiu, ein paar
hundert Kilometer westlich von Bacau, sind philippinische
Textilarbeiterinnen der Firma Mondostar Anfang August 2008 in einen
Überstundenboycott getreten, nachdem sie zwei Monate lang für die
Überstunden gar keinen Lohn erhielten.(3)
Für die asiatischen
Arbeiter und Arbeiterinnen muss es sich lohnen, die hohen
Vermittlungsgebühren der Agenturen auf sich zu nehmen. Sie sehen den
vertraglich festgelegten Grundlohn und rechnen fest mit den zugesagten
Überstundenzuschlägen. Sind die Arbeiterinnen und Arbeiter dann in
Rumänien, versuchen die Unternehmen, den Vertrag zu unterlaufen, indem
sie weniger Lohn zahlen und mehr Arbeitsleistung aus ihnen
herauspressen.
“Wenn es euch nicht passt, geht doch zurück nach Bangladesh”
Das
Aufenthaltsrecht der Arbeiter aus Bangladesh ist an ihren einjährigen
Arbeitsvertrag geknüpft. Ihre Pässe und alle wichtigen Dokumente wurden
von der Firma einbehalten und ihnen nur Kopien davon ausgehändigt. Die
Firmenleitung kann unliebsamen Arbeitern leicht kündigen und sie dann
abschieben lassen. 30 Arbeiter wurden bereits entlassen. “Sobald wir
uns beschweren, heißt es: Wenn es euch nicht passt, dann schicken wir
euch zurück nach Bangladesh.” Angesichts der hohen Schulden, die in
Bangladesh warten, ist das eine bedrohliche Aussicht.
Anders als
die philippinischen Frauen bei Mondostar haben nur wenige der Arbeiter
aus Bangladesh bereits Erfahrungen im Ausland sammeln können. Viele
haben ihr Land zum ersten Mal verlassen. Für die Arbeiter der Wear
Company ist der Schritt von Bangladesh nach Europa mit der Hoffnung auf
bessere Lebensbedingungen verknüpft.(4)
Auf die Arbeiter angewiesen
Die
Wear Company in Bacau ist auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen.
Nach einer Studie der Zeitarbeitsfirma Manpower ist Rumänien derzeit
weltweit das Land mit der höchsten Arbeitskräfteknappheit. 73 Prozent
der befragten Firmen gaben an, nicht ausreichend Arbeitskräfte finden
zu können.(5) Textilindustrie, Baugewerbe und Dienstleistungssektor
sind besonders stark betroffen.
Schätzungen zufolge arbeiten zehn
Prozent der Bevölkerung Rumäniens permanent oder vorübergehend im
Ausland, vorzugsweise in Spanien und Italien, wo sie das fünf- bis
siebenfache des Lohnes erhalten, den sie in Rumänien verdienen könnten.
Auch die tägliche Propaganda in den rumänischen Medien über die
Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für Rumänen im Ausland, die
katastrophalen sozialen Auswirkungen der anhaltenden Auswanderung für
zurückgebliebene Familienmitglieder – Kinder, die ohne Fürsorge
aufwachsen, alte Menschen, um die sich keiner kümmert – und die
drohende “Überschwemmung” des nationalen Arbeitsmarktes durch
asiatische Arbeitskräfte, ändern nichts an der Situation.
Bacau
liegt in der rumänischen Provinz Moldova, einer Region, in der der Grad
der Abwanderung einheimischer Arbeitskräfte überdurchschnittlich hoch
ist. Die 185.000 Einwohner zählende Stadt bietet wöchentlich sechs
Direktflüge und täglich zehn Busfahrten nach Italien an.
Den Fall öffentlich machen
In
den Gesprächen mit den Arbeitern aus Bangladesh kommt schnell ein
dringendes Anliegen zur Sprache: “Wir wollen, dass über unsere
Situation hier berichtet wird. Es muss sich was ändern.”
Anfang
September erzählt uns ein Arbeiter per Telefon, dass sie erneut
eingesperrt werden. “Letzten Sonntag sind 16 von unseren Kollegen nicht
zurück gekommen. Jetzt verbietet uns die Firma wieder, das
Fabrikgelände zu verlassen. Wir wissen noch nicht, ob wir nächsten
Sonntag raus dürfen.”
Bericht von Ana Cosel
09. September 2008
Kontakt: ana.cosel[at]web.de
Anmerkungen:
Sonoma und Wear Company
Wear
Company und Sonoma – zwei große Textilfabriken in Bacau, in denen
Sportbekleidung für den Export produziert wird – befinden sich beide im
Besitz des Italieners Antonello Gamba. Gamba war der erste Unternehmer
in Rumänien, der 2006 eine Lizenz für die Beschäftigung von über 1000
ausländischen Arbeitskräften aus China beantragte.
Seit dem Streik
bei der Wear Company im Januar 2007 wurden die verbliebenen
chinesischen Arbeiterinnen und Arbeiter von der Wear-Fabrik im
südlichen Industriegebiet Bacaus zur Sonoma-Fabrik am nordwestlichen
Stadtrand “verlegt”. Sie arbeiten in der Sonoma-Fabrik zusammen mit
einigen Hundert einheimischen Arbeiterinnen. In der Wear-Fabrik werden
seit diesem Jahr ausschließlich die 500 Arbeiter aus Bangladesh
beschäftigt, selbst ihre Vorarbeiter sind Landsleute.
Über die
aktuelle Situation der insgesamt 250 chinesischen Arbeiterinnen und
Arbeiter bei Sonoma ist wenig bekannt. Vor einem Monat ging ein Fall
durch die lokale Presse: Ein chinesischer Arbeiter der Firma Sonoma
hatte sich am 5. August ins Zentrum von Bacau in die Fußgängerzone
gesetzt und mit einem Plakat auf seine Lage aufmerksam gemacht. Sein
Vertrag würde auslaufen, er müsse nun zurück nach China, die Firma
weigert sich aber, den ihm zustehenden Lohn zu zahlen. Er sagte
wiederholt: “No money, no China, no tomorrow.”(6)
Endnoten:
(1) BBC-Bericht zu dem Streik: http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/6286617.stm
(2)
Anders als von den Philippinen, wo vor allem weibliche Arbeitskraft
"exportiert" wird, gehen in Bangladesh hauptsächlich Männer ins Ausland
zum Arbeiten.
(3) Siehe dazu den Bericht von Ana Cosel vom 27. August 2008: http://www.labournet.de/internationales/rumae/sibiu.html (deutsch)
http://www.labournet.de/internationales/rumae/sibiu_engl.html
(4)
In den neuen Produktionzentren der Textilindustrie in Bangladesh finden
derzeit wiederholt Streiks und gewaltsame Proteste statt, die sich
gegen die niedrigen Löhne und die anhaltenden Preissteigerungen von
Lebensmitteln richten. Der Grundlohn einer Textilarbeiterin in
Bangladesh – die große Mehrheit der 2 Millionen in der
Bekleidungsindustrie Beschäftigten sind Frauen – liegt derzeit bei etwa
45 US-Dollar im Monat. Der Staat versucht diese Proteste gewaltsam zu
unterdrücken, Polizei und Paramilitärs spielen dabei eine entscheidende
Rolle.
(5) Manpower-Studie veröffentlicht am 22. April 2008: http://www.euractiv.com/en/socialeurope/romania-skilled-labour-shortage-highest-worldwide/article-171920
(6) Auf Rumänisch: http://www.desteptarea.ro/articol_15067.shtml
Artikelaktionen