Monitor: Den letzten beißen die Hunde: Der neue Trend der Lohndrücker
Die schöne Welt der Paketdienste, zumindest im Imagefilm.
Imagefilm Hermes: "Nadine Ewers ist Zustellerin
bei Hermes. Und das bedeutet: sie tut wirklich alles dafür, dass
ihre Sendung bei ihren Kunden ankommt."
Und das ist - sagen wir mal - Werner. Werner darf unter keinen
Umständen erkannt werden. Er ist einer von 10.000 Zustellern, die
im echten Leben für die Hermes Logistik Gruppe Pakete ausfahren.
Werner steht für viele Fahrer, die wir bei unseren Recherchen in
dieser Branche getroffen haben. Er arbeitet für, aber nicht bei
Hermes - fast wie ein kleiner Unternehmer, auf eigenes Risiko,
bezahlt pro Paket.
Reporter: "Was verdienen Sie pro
Paket?"
Werner: "Ich bekomme pro Paket etwa
60 Cent. Aber bei anderen sieht es eben so aus, die bedeutend
weniger bekommen, das fängt bei 57 Cent an und also im Schnitt 58
Cent."
Etwa hundert Pakete schafft Werner in zehn bis zwölf Stunden, wenn
er sich beeilt. Das macht am Tag etwa 60 Euro, minus Sprit und
Unterhaltskosten fürs Auto.
Werner: "Das ist verdammt wenig. Denn
wenn man das jetzt alles umrechnen würde in Stunden und Benzin und
in Steuern und Versicherungen, Reparaturen, bleibt da gar nichts
übrig."
Vor allem: Bezahlt wird nur nach Erfolg. Viermal muss der
Hermesbote zum Kunden, wird er das Paket nicht los, geht er leer
aus, hat Arbeit und Benzin umsonst investiert. Auch sonst trägt
Werner ein hohes Risiko, denn es gibt Strafzahlungen. Wir fahren
nach Baden-Württemberg. Dort treffen wir Oliver Allmannsberger. Der
26-jährige hat mit diesen Strafzahlungen ganz eigene Erfahrungen
gemacht. Drei Wochen hatte er als Hermes-Bote für einen
Subunternehmer gearbeitet, dann bekam er die Abrechnung. 598
Pakete, las er da, habe er für je 55 Cent ausgeliefert. Davon
wurden ihm Strafgebühren für zu spät gelieferte Eilzustellungen
abgezogen, dreimal 100 Euro. Statt ein es Gehaltes hatte er am Ende
nach drei Wochen Arbeit 48,44 Euro Schulden bei seinem
Subunternehmer. Allmannsberger war empört.
Oliver Allmannsberger, ehemaliger
Paketbote: "Ich hab gearbeitet für mein Geld und ich bekomme
es nicht, das geht nicht. Weil noch zahlen für eine Arbeit, die man
geleistet hat, das geht ja gar nicht."
Imagefilm Hermes: "Jeden Tag liefern wir
Sendungen an über eine Million Haustüren in ganz Deutschland ab.
Eine starke Leistung, die ohne den enormen Einsatz unserer
Mitarbeiter gar nicht möglich wäre."
Enormer Einsatz und gar kein Geld? Nach massiver Klagedrohung bekam
Oliver Allmannsberger schließlich doch noch seinen Lohn vom
Subunternehmer. Sicher ein Extremfall, doch unter Strafabzügen
leiden auch Werner und seine Kollegen immer wieder. Hohes Risiko
bei härtester Arbeit und minimalem Einkommen. In der Branche ist
das weit verbreitet. Hermes sagt, weder mit Strafzahlungen noch mit
der Bezahlung der Fahrer habe das Unternehmen etwas zu tun. Und das
kann Hermes sagen, denn die Hermes Logistik Gruppe macht Verträge
mit Subunternehmern, so genannten Satellitendepotbetreibern. Die
wiederum beauftragen andere Subunternehmer, für die meist mehrere
Fahrer die Pakete ausliefern. Für die Arbeitsbedingungen der Fahrer
fühlt sich Hermes deshalb nicht verantwortlich.
Martin Frommhold, Hermes Europe
GmbH: "Für die Fahrer ist dann eben der Vertragspartner
zuständig. Er ist für die Organisation seines Betriebes zuständig,
auch dafür, wie viele Fahrer er einsetzt, dafür, ob er seine Arbeit
beispielsweise auch über Subunternehmer organisiert und letzten
Endes ist er auch dafür zuständig, wie diese Fahrer oder
Subunternehmer bezahlt werden."
Reporter: "Das heißt die Fahrer, die
für die Hermes Logistik Gruppe tagtäglich an den Türen stehen, die
Pakete abgeben, die haben mit Ihnen eigentlich gar nichts zu
tun?"
Martin Frommhold, Hermes Europe GmbH:
"Richtig, diese Fahrer sind Mitarbeiter von Vertragspartnern und
sind für diese tätig."
Nicht verantwortlich sieht sich Hermes auch für ein weiteres
Ergebnis unserer Recherche. Wir treffen einen der vielen
Subunternehmer, die im Auftrag eines Hermes-Satellitenbetreibers
arbeiten. Er erzählt uns verdeckt vor der Kamera, was uns auch von
anderen berichtet wurde. Nicht selten würden Hermes-Boten von
Subunternehmern auch schwarz beschäftigt.
Hermes Subunternehmer: "Das ist ganz
und gar kein Ausnahmefall. Das wird soweit ich weiß deutschlandweit
zelebriert. Die Mitarbeiter werden eingestellt auf 400 Euro-Basis,
verdienen aber weitaus mehr. Dann wird dann die Mutter angemeldet,
der Vater wird angemeldet und so sind schnell zwölf-dreizehnhundert
Euro zu verdienen mit zwei Namen, wobei nur einer arbeiten kommt.
Und das bis zu zehn Stunden am Tag."
MONITOR liegen Schein-Abrechnungen von Familienangehörigen vor.
Danach arbeitet auf dem Papier auch schon mal eine 80-jährige
Großmutter als Hermesbote. Einzelfälle? Die Staatsanwaltschaft
Hamburg hat da Zweifel, seit man bei einer Razzia Subunternehmer
der Hermes-Vertragspartner im norddeutschen Raum ins Visier
genommen hat.
Wilhelm Möllers, Staatsanwaltschaft
Hamburg: "Nach meinem Wissen sind in Norddeutschland
insgesamt 72 Ermittlungsverfahren anhängig, 15 Ermittlungsverfahren
werden bei der Staatsanwaltschaft Hamburg betrieben. Vorwurf der
Ermittlungen ist das Vorenthalten von Sozialentgelt, also von
Krankenkassenbeiträgen, Beiträgen zur Sozialversicherung, und so
weiter."
Reporter: "Gegen wen richten sich diese
Ermittlungen?"
Wilhelm Möllers, Staatsanwaltschaft
Hamburg: "Die Ermittlungen richten sich gegen
Subunternehmer, selbständige Beschuldigte. Die Ermittlungen stehen
strafrechtlich in keinem Zusammenhang mit einem namhaften
Paketzusteller hier im norddeutschen Raum."
Ermittelt wird also ausdrücklich nicht gegen die Hermes Logistik
Gruppe, sondern gegen Subunternehmer der Hermes-Vertragspartner. 72
Subunternehmer, für die Hermes juristisch nicht verantwortlich ist.
Aber zahlt Hermes überhaupt genug, damit die Subunternehmer die
Fahrer gerecht und legal bezahlen können?
Martin Frommhold, Hermes Europe GmbH:
"Unserer Meinung nach bezahlen wir an unsere Vertragspartner einen
ausreichenden Betrag, der es ihm ermöglicht, seine eigenen
Mitarbeiter entsprechend zu entlohnen und dort für ein geregeltes
Auskommen zu sorgen."
Wilhelm Möllers, Staatsanwaltschaft
Hamburg: "Nach unseren Erkenntnissen sind die
Vertragsverhältnisse betriebswirtschaftlich sehr eng ausgestaltet,
wir haben Anhaltspunkte dafür, dass letztlich für den einzelnen
Subunternehmer pro Paket bei diesen Ausgestaltungen kein Gewinn zu
erzielen ist."
In eine ähnliche Richtung geht die Einschätzung von Ralph Svensson,
der fünf Jahre lang als Satellitenbetreiber direkter
Hermes-Vertragspartner war. Er empfindet das System als
gnadenlos.
Ralph Svensson, ehemaliger
Satellitendepotbetreiber: "Also dieses System setzt meiner
Meinung nach darauf, ganz gewaltige Risiken und Kosten von Hermes
auf die Satellitendepotbetreiber und Subunternehmer abzuwälzen, so
dass man noch höher, schneller und weiter im Wettbewerbs- und
Konkurrenzkampf sein kann. Man wird von dem System gefangen
gehalten. Man wird dazu gezwungen, auch gewisse Entscheidungen
mitzutragen, ob man will oder nicht. Und insofern ist man auch
nicht wirklich selbständig. Man ist eigentlich auch
Erfüllungsgehilfe."
Hermes ist bei den postunabhängigen Paketzustellern Marktführer.
Doch mit Subunternehmern arbeiten inzwischen fast alle Mitbewerber
mehr oder weniger. Das spart Kosten und wälzt Risiken ab. Selbst
Deutsche Post DHL arbeitet inzwischen in fast 1000 der rund 7000
Zustellbezirken mit Servicepartnern. Dass es nicht mehr sind, liegt
vor allem an einer Vereinbarung mit den Gewerkschaften, die in
diesem Jahr allerdings ausläuft. Ein streng vertrauliches
Vorstandspapier, das MONITOR vorliegt, zeigt, dass man postintern
auch schon mal eine komplette Fremdvergabe durchgerechnet hat. Das
könne der Post 8000 Stellen und jährlich 140 Millionen Euro sparen.
Droht eine Niedriglohnspirale auf Kosten der Beitrags- und
Steuerzahler? Denn wenn immer mehr Zusteller wie Werner kaum
Beiträge in die Sozialversicherung zahlen, droht eine massive
Altersarmut und der Bankrott der staatlichen Sicherungssysteme.
Zumal viele ihre Niedriglöhne auch noch mit Hartz IV aufstocken
müssen. Jedes Paket wird dann vom Steuerzahler indirekt
subventioniert, warnen Sozialforscher.
Prof. Gerhard Bosch, Institut für Arbeit
und Qualifikation, Universität Duisburg: "Die Politik muss
vor allem die Augen aufmachen. Sie verschließt die Augen vor einem
Missbrauch. Der wird stillschweigend hingenommen und der wird auch
schöngeredet mit Hinweis auf das Beschäftigungswunder. Und es
werden überhaupt die versteckten sozialen Kosten in solchen
Systemen werden überhaupt nicht erkannt. Man erhofft sich einen
kurzfristigen Vorteil durch sinkende Preise im Paketbereich und
übersieht völlig, dass man eigentlich die Finanzkraft des Staates
und der Sozialversicherungssysteme systematisch untergräbt."
Die schöne neue Welt der Paketdienste - sie könnte uns allen noch
teuer zu stehen kommen.
Sonia Seymour Mikich: "Wir erwarten 1a-Leistung zu jeder Zeit für kleines Geld, und die Pakete sind ja auch billiger geworden. Aber das hat seinen Preis für uns alle. Niedrigstlöhner können oft nichts in die Sozialkassen einzahlen. Ausbeutung mit Langzeitfolgen - sie macht miese Schule."
Interview Volker GeyerVolker Geyer, Bundesvorsitzender der Postgewerkschaft DPVKom, über die Arbeitsbedingungen bei Sub-Unternehmern in der Paketbranche und das interne Vorstandspapier der Post.
Interview Professor Gerhard BoschProfessor Gerhard Bosch vom Institut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg über die Folgen einer möglichen Niedriglohnspirale.
MONITOR-DossierArmut trotz Arbeit?
Artikelaktionen