Griechenland vor dem Generalstreik: Erinnerung an die Zeit der Junta
Das Bild zeigt einen Polizisten, der - wenige hundert Meter von der Beisetzung entfernt - Schüsse in die Luft abgibt. Die Polizeiführung dementierte zunächst, gab dann zu, es habe einen Warnschuss gegeben. AnwohnerInnen haben insgesamt 15 Patronenhülsen e
Der Dienstag begann mit einer der größten Kundgebungen in der
Geschichte von Patras. Zwischen 3.000 und 5.000 Menschen waren dem
Aufruf lokaler anarchistischer Kollektive zu einer Demonstration
anlässlich der Beerdigung von Alexandros gefolgt. Während der
Demonstrationszug durch die Straßen der Stadt zog, die mit rund 120.000
Einwohnern das Verwaltungszentrum Westgriechenlands darstellt, begann
die Polizei große Mengen an Einheiten rund um ihre Zentrale
zusamenzuziehen, um diese vor den wütenden Menschen zu schützen.
Gegen Ende der Demonstration ging die Polizei zum Angriff über und
zwang die TeilnehmerInnen gewaltsam zum Rückzug Richtung der Parartima,
des historischen Universitätsgebäudes der Stadt. Kurz darauf begann ein
bis dahin nicht für möglich gehaltener Angriff: Dutzende von
Faschisten, die offensichtlich aus ganz Griechenland zusammengekarrt
worden waren, griffen die Demonstration mit Messern und Steinen an. Der
Überfall war perfekt mit der Polizeistrategie koordiniert, Augenzeugen
sprechen sogar davon, dass die Faschisten Leute festgenommen und der
Polizei ausgeliefert haben. Für die älteren TeilnehmerInnen der
Demonstration kehrte in dieser Nacht die Vergangenheit zurück: Sie
sahen sich attackiert von einem Mob, der Tränengasgranaten aus dem
Arsenal der Polizei nach ihnen warf und dabei "Blut - Ehre - Goldene
Dämmerung", den Namen einer faschistischen griechischen Organisation,
brüllte. Für eine Nacht schienen die Jahre des Obristenregimes, der
Junta, zurückgekehrt, in denen die Faschisten als verlängerter Arm des
Staates die Bevölkerung terrorisierten.
Unter dem Eindruck der kombinierten Angriffe von Polizei und Faschisten
mussten sich die verbleibenden rund 500 DemonstrantInnen in Gruppen in
umliegende Wohnungen zurückziehen. Versuche der Polizei und von
Faschisten, einige Wohnungen zu stürmen, konnten verhindert werden.
Die bügerlichen Medien machten aus den Faschisten, in nahezu
wortgleichen Meldungen, umgehend "lokale Geschäftsleute", die ihr Recht
"in die eigenen Hände genommen hätte". Wenn man einmal von dem Umstand
absieht, dass keinerlei lokale Geschäfte während der Demonstration in
Mitleidenschaft gezogen worden waren, strafte sich diese Presse mit
ihren Bildern umgehend selbst Lügen. Dort waren die vorgeblichen
"Ladenbesitzer" und "gesetzestreuen Bürger" abgebildet: Sie hatten
Sturmhauben aufgesetzt und hielten Messer in der Hand!
Dafür, dass es sich bei dem Zusammenspiel von Polizei und Faschisten
nicht um ein zufälliges Ereignis, sondern um eine geplante und
koordinierte Aktion handeln könnte, spricht noch ein weiteres Detail.
Im griechischen Indymedia-Netzwerk berichteten seit Montag Menschen aus
mindestens zwei Dutzend Städten übereinstimmend, dass Polizisten lokale
Ladenbesitzer aufgefordert hätten, ihre Läden am Dienstag zu
verbarrikadieren und sich zu schützen. An allen Orten habe man den
Ladenbesitzern erzählt, am Dienstag, dem Tag der Beerdigung würden
Busladungen von Anarchisten, wahlweise aus Athen oder Thessaloniki in
ihrer Stadt einfallen, um diese zu verwüsten. BeobachterInnen sehen das
gezielte Vorbereitung mit dem Ziel, Überfälle wie den in Patras zu
legitimieren.
AktivistInnen in Griechenland nehmen die unglaublichen Vorfälle in
Patras sehr ernst. Vor dem Hintergrund einer in die Enge getriebenen
und um ihre Pfründe fürchtenden Regierung und einer Polizei die kein
Mittel gegen die Wut einer ganzen Generation zu finden scheint, ist es
zumindest nicht ausgeschlossen, dass die Behörden erneut die
faschistischen Kettenhunde von der Leine lassen, derer sie sich auch in
der Vergangenheit immer schon einmal wieder bedient haben. Umso
verlockender, als sie sich die Faschisten gleich auf dreierlei Art
zunutze machen könnte: Zum ersten, um die Drecksarbeit zu erledigen,
für die die Polizei zu sehr im Licht der Öffentlichkeit stünde, zum
zweiten, weil man den faschistischen Mob zugleich noch als Anwort der
"anständigen Bürger" medial verdrehen kann und zum dritten, weil die
dadurch transportierte Angst vor einem angeblichen Bürgerkrieg zwischen
"den Jugendlichen" und "den Bürgern" einen Vorwand zu einem härteren
Durchgreifen der Polizei liefert und den Staat als Retter aus der - von
ihm selbst geschaffenen - Not legitimiert.
Die kommenden Tage und der Generalstreik werden deshalb von vielen als
sehr kritisch angesehen. Wobei sich schon jetzt die Zeichen mehren,
dass die großen reformistischen Gewerkschaften den Generalstreik nutzen
werden, um der Regierung zu helfen, die Welle der Proteste zu beenden.
Eine ursprünglich angesetzte Demonstration durch die Straßen von Athen
wurde kurzfristig von den Gewerkschaftsvorständen abgesagt und durch
eine statische Kundgebung in der Nähe des Parlamentes ersetzt.
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