Dokumentation: Repression gegen französische Aktivist_innen
Brief von Ivan und Bruno
erschienen auf Indymedia Paris, 21 April 2008
Wir
schreiben heute an alle Freunde, an alle, die sich nicht von den
Verhältnissen unterkriegen lassen: Polizeisperren in den Straßen,
Razzien gegen Menschen ohne Papiere, Abschiebungen, alltägliche
Schwierigkeiten und die Fremdbestimmtheit des Lebens; der Zwang, einen
immer größeren Teil unseres Lebens allen möglichen Chefs zu überlassen,
denen, die über uns entscheiden und Macht ausüben. Unser Widerstand
setzt dort an: es geht um die Freiheit zu leben.
Wir wurden am
19.Januar festgenommen. Wir beide befinden uns seitdem in
Untersuchungshaft, der dritte von uns ist unter richterlicher Aufsicht.
(Er machte sich des Umstandes schuldig, im Moment unserer Festnahme
zufällig vorbeizukommen und uns zu kennen.). Wir hatten eine Rauchbombe
dabei, die wir aus einer Mischung von Natronchlorat, Zucker und Mehl
hergestellt hatten. Einmal angezündet, qualmt diese Mischung stark. Wir
hatten vor, sie während der Demonstration einzusetzen, die an diesem
Tag wieder zum Abschiebegefängnis in Vincennes führen sollte. Unser
Vorhaben: für die eingesperrten Sans-Papiers sichtbar zu sein, und dies
trotz der Polizei, die uns sicherlich in Entfernung des Knastes halten
würde. Wir hatten auch Knallkörper und verbogene Nägel dabei, die auf
der Straße ausgelegt werden können, um Autos am Wegfahren zu hindern.
Für
die Polizei und die Justiz stellt das ein gefundenes Fressen dar: es
muss sich um die Bauelemente einer Nagelbombe handeln. So lauten unsere
Anklagen folgendermaßen:
Besitz und Transport von brandstiftenden
oder explosiven Substanzen und Produkten zur Herstellung eines
brandstiftenden oder explosiven Gegenstandes, um eine Zerstörung, eine
Sachbeschädigung oder eine Gefährdung von Menschleben hervorzurufen
Gründung
einer kriminellen Vereinigung, mit dem Ziel, eine Zerstörung durch
Brandstiftung, explosive Substanzen oder andere Mittel durchzuführen,
die eine Gefahr für Menschenleben darstellen
Verweigerung der polizeidienstlichen Erkennungsmaßnahmen (Fingerabdrücke, Fotos)
Verweigerung der Abgabe einer DNA-Probe
Es läuft einem kalt den Rücken runter. Soweit zu den Anklagen, wir werden uns nun an einer Analyse der Ereignisse versuchen.
Die
Art, in der wir behandelt werden, kann nicht mit den Dingen erklärt
werden, die wir dabei oder geplant hatten. Dem Staat geht es vielmehr
darum, Widerstand zu kriminalisieren und Dissidenz zu unterdrücken. Es
geht um unsere Ideen und unsere Art zu kämpfen: außerhalb der Parteien,
Gewerkschaften und anderen Organisationen. Weil sich diese Wut nicht
kontrollieren oder vereinnahmen lässt, versucht der Staat, sie zu
isolieren und einen „Feind im Inneren“ auszumachen. Polizei und
Verfassungsschutz legen Dateien mit 'Täterprofilen' an. In unserem Fall
ist es das der „Anarcho-Autonomen“. Von dort zieht der Staat eine
direkte Verbindungslinie zum Terrorismus und schafft so ein
Bedrohungsszenario, um einen gesellschaftlichen Konsens zur Verstärkung
der Kontrolle und Legitimation der Repression zu schaffen.
Deshalb
sind wir heute im Gefängnis. Dies ist der Umgang, den sich der Staat
bei jeglichen illegalen Handlungen und mit sogenannten
'Risikobevölkerungen' vorbehält. Es geht darum, immer mehr Menschen
immer länger wegzusperren. Immer effizientere Kontrollen und
Sanktionen, die Angst machen, sorgen im Interesse derer, denen die
herrschende Ordnung nutzt, dafür, dass alle an ihren Plätzen bleiben,
wissend, dass es nicht möglich ist, die vorgesehenen Wege zu verlassen
ohne den hohen Preis zu bezahlen. Wir kämpfen mit den Menschen ohne
Papiere, weil wir wissen, dass es die gleiche Polizei ist, die
kontrolliert, der gleiche Chef, der ausbeutet und die gleichen Mauern,
die einsperren. Wir waren auf dem Weg zur Demonstration, um mit den
Gefangenen zusammen 'Freiheit' zu rufen, um zu zeigen, dass wir viele
sind, die ihre monatelange Revolte im Gefängnis wahrnehmen. Eine
Rauchbombe anzuzünden, so nah wie möglich an die Gitter des Gefängnis
zu kommen, 'Abschiebeknäste zu Baulücken' zu rufen, mit der
Überzeugung, frei leben zu wollen. Der gemeinsame Kampf schafft einen
Raum um Solidaritäten zu knüpfen und unserer Revolte Ausdruck zu
verleihen.
Wir verstehen uns nicht als 'Opfer der Repression'.
Es gibt keine gerechte Repression, keinen gerechten Knast. Es gibt die
Repression und ihre Funktion, ihre Rolle der Aufrechterhaltung der
Ordnung: die Macht der Besitzenden über die Besitzlosen.
Wenn alle in der Reihe laufen, ist es einfach, die zu bestrafen, die ausscheren.
Wir
hoffen, dass wir viele sind, unsere Leben in die Hand zu nehmen und
diese Wut im Herzen zu tragen, um die Solidarität aufzubauen, aus der
der Widerstand ist.
Bruno und Ivan aus den Gefängnissen von Fresnes und Villepinte, April 2008
Originaltext auf französisch: http://paris.indymedia.org/article.php3?id_article=98400
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