(Dokumentation) Feindbild Billiglohnland
Eine gefährliche Diskrepanz tut sich auf: Rechtsradikales Gedankengut
breitet sich weiter aus, mancherorts wachsen die Netzwerke der
Rechtsextremen. Und trotzdem ist der Kampf dagegen kein prominentes
Thema. Einer der Gründe ist, dass die Warnsysteme, auf welche Medien,
politische Apparate und die Öffentlichkeit reagieren, nicht Alarm
schlagen. Bei den letzten Landtagswahlen spielten rechte Parteien so gut
wie keine Rolle. Mit einem fremdenfeindlichen Wahlkampf erntete Roland
Koch in Hessen eine deftige Niederlage. Parteienforscher stellen sich
zwar die Frage, ob und wann eine sechste Partei kommt - aber diese Frage
klingt momentan eher theoretisch. Entsprechend wurden die Mühen der
SPD-regierten Bundesländer, neues Material für ein erneutes
NPD-Verbotsverfahren zusammenzutragen, ebenso zurückhaltend wahrgenommen
wie die Weigerung der CDU-regierten Länder, diese Anstrengungen zu
unterstützen.
Für Gewerkschaften spielt dennoch eine große Rolle, ob und wie es der
Rechten gelingen könnte, sich in die Auseinandersetzung um soziale
Fragen einzumischen, dabei glaubwürdig zu wirken und Anklang zu finden.
Zwar gehören Begriffe wie Gewerkschaften, Tarifverträge,
Arbeitnehmerrechte und Mitbestimmung nicht unbedingt zum
Standardwortschatz rechter Propaganda. Dennoch gibt es Befürchtungen, ob
die wachsende Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse - Leih-, Zeit-,
Projektarbeit, Werkverträge, Outsourcing - Rechtsradikalen in die Hände
spielen könnten. Immerhin fördert die neue Arbeitswirklichkeit in den
Betrieben zwangsläufig die Vereinzelung der Kollegen, die Gefahr des
Gegeneinanders einzelner Arbeitnehmer-Gruppen steigt.
Der Jenenser Soziologe Klaus Dörre kommt zu dem Schluss, dass
insbesondere bei international agierenden Konzernen Rassismus und
Rechtsextremismus zwar offiziell keinen Platz hätten, weil dies "doch
geschäftsschädigend" sei. Rechtsradikale Einstellungen existierten aber
oft "im Verborgenen". Jüngst trafen sich zu diesem Thema etwa 150
Vertrauensleute, Betriebsräte und Funktionäre der IG Metall -
zwangsläufig Experten, weil sie bei ihrer Arbeit in Betrieben und vor
Ort auf die Aktivitäten der Rechten stoßen und dagegen halten wollen, ja
müssen. Ein Beispiel dafür: In vielen Betrieben, beispielsweise bei
Opel, Thyssen Stahl und VW, gibt es bereits Betriebsvereinbarungen gegen
Diskriminierung, für Respekt und Chancengleichheit.
Schon seit einigen Jahren versuchen die Rechten, wichtige Jahrestage der
Linken und Gewerkschaften zu "besetzen" und deren Inhalte umzudeuten.
Ihre Aufmärsche melden sie beispielsweise für den Anti-Kriegstag am 1.
September an oder sie mobilisieren zum 1. Mai. Das Ziel: Aus allen
sozialen Fragen werden nationalistische gemacht. In Deutschland
produzierte Handys sind die besten, es geht um Arbeitsplätze für
Deutsche, um den Sozialstaat für Deutsche. Und die Billiglohnländer
werden zum Feindbild. "Arbeit statt Dividende - Volksgemeinschaft statt
Globalisierung", lautet ein unter rechten Ideologen beliebter Schlachtruf.
Es bedarf keiner großen Phantasie um sich vorzustellen, dass solche
Parolen in Unternehmen, die Standorte verlagern oder gegen ausländische
Konkurrenz Aufträge verlieren, immer wieder Anklang finden. Es gehe
darum, so Jürgen Gansel, NPD-Landtagsabgeordneter in Sachsen und einer
der rechten Vordenker, "den Antikapitalismus aus den Traditionsbeständen
der Linken herauszubrechen und mit nationalen Inhalten aufzuladen". Zum
diesjährigen 1. Mai versuchen es die NPD und weitere nationalistische
Organisationen in Hamburg mit einem bundesweiten Aufruf für "Arbeit und
soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen - Gegen Globalisierung".
Wie weit verbreitet rechtsradikale Einstellungen in der Arbeitswelt
sind, haben inzwischen eine Reihe von Studien belegt - und dabei auch
manche einfache und trotzdem weit verbreitete "Wahrheit" in Frage
gestellt. So zeigte eine von gewerkschaftlichen Stiftungen finanzierte
Expertise, dass die Mitgliedschaft in den DGB-Organisationen gegen
rechtsextremes Denken keineswegs immunisiert. Nach der von Bodo Zeuner,
Richard Stöss und anderen 2006 veröffentlichten Untersuchung haben etwa
20 Prozent der Mitglieder extrem rechte Einstellungen, in etwa der
gleiche Wert wie bei Nichtmitgliedern. Unterschiede gibt es längs des
Bildungsstandes: Bei einfachen Arbeitern haben bis zu 34 Prozent
rechtsextreme Einstellungen, bei einfachen Angestellten sind es zehn.
Die Forscher-Gruppe gibt den Gewerkschaften den Rat, sich "deutlich als
Wertegemeinschaft" zu verstehen, nicht nur als "Arbeitsmarktkartell oder
gar als Dienstleistungs-Unternehmen" für Mitglieder. Gehöre deren aktive
Beteiligung zu diesen Werten, dann sei die Wirkung besonders stark -
denn: Partizipation habe sich in den Untersuchungen "als besonders
mächtiges Bollwerk gegen rechtsextreme Einstellungen erwiesen".
Ebenfalls mit gewerkschaftlichen Geldern finanziert wurde eine Studie,
die eine Forschergruppe um den Tübinger Erziehungswissenschaftler Josef
Held erstellt hat. Auf regionaler Ebene im wirtschaftlich wohlhabenden
Rems-Murr-Kreis in Baden-Württemberg erhoben und im Sommer 2007
veröffentlicht, belegt die Expertise, dass es keinen direkten
Zusammenhang zwischen sozialer Frage und Rechtsextremismus gibt. Und sie
zeigt zudem, dass Rechtsextremismus nicht nur ein Problem
Ostdeutschlands ist. Die vermutete Regel, wem es ökonomisch schlecht
geht, der sei besonders empfänglich für reche Einstellungen und
umgekehrt, hält dem Alltag nicht Stand. Im Rems-Murr-Kreis sei die
politische Kultur von "einer rechtsgerichteten Stimmung geprägt", so die
Forscher. Fremdenfeindlichkeit - "die Einstiegsdroge in den
Rechtsradikalismus" - und autoritäre Denkweisen seien weit verbreitet.
Auf viele Jugendlichen übe der Rechtsextremismus zudem eine "starke
Faszination" aus, rechte Denkweisen gewönnen "eine Art unbemerkte
Selbstverständlichkeit".
Die Kernaussage der Forscher: Nicht die Existenz der Rechtsextremen sei
das Problem, sondern eine politische Kultur, die sie gewähren lasse.
Deshalb sei es entscheidend, so deren Rat, dass sich Vereine,
Gewerkschaften, Parteien, Kirchen und öffentliche Stellen in breiten
Bündnissen gegen Rechts zusammenschließen.
Quelle: Freitag
Autor: Wolfgang Storz
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