Allgemeinverbindliche Tarifverträge - Mindestlöhne, wenn man denn davon wüsste...
In einigen Bundesländern gibt es gerade in typischen
Niedriglohnbranchen wie Gastronomie, das Friseurhandwerk, Bau,
Transport und Handel allgemeinverbindliche Tarife. So weit, so gut.
Doch in der Praxis dürfte dies in vielen Betrieben ohne Folgen bleiben.
Für einen Großteil der Beschäftigten in den betreffenden Branchen
dürfte schon der Begriff ein Fremdwort sein, und nicht selten wären
vielleicht sogar deren Chefs überrascht. Für wen der Begriff immerhin
kein Fremdwort ist, wird zwar schnell auf eine entsprechende Liste
stoßen, aber die Suche danach, welcher Tarif denn nun gerade gilt, kann
sich schon schwierig gestalten.
Nehmen wir als Beispiel GastronomiearbeiterInnen in NRW. Seit 2008 gibt
es einen allgemeinverbindlichen Tarif für die untersten Tarifgruppen 2a
und 2b. Mit Hilfe des online verfügbaren Tarifvertrags und eines
Taschenrechners lässt sich ermitteln, dass für "einfachste Arbeiten"
6,50€ brutto pro Stunde in den ersten 12 Monaten und 7,62€ darüber
hinaus gezahlt werden mussten (1) - jedenfalls bis Mai 2010. Für die
folgenden Jahre haben der Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA und die
Gewerkschaft NGG neue Tarife ausgehandelt. Neben einer komplizierten
Formel zur Tariferhöhung wurde die Billig-Tarifgruppe 2a auf bis zu 24
Monate und "erheblich mehr Tätigkeiten" ausgedehnt, schreibt die DEHOGA
höchstzufrieden (2). Die NGG-NRW erwähnt in ihrem Tarifinfo (3) ohnehin
nur die oberen Tarifgruppen - wäre sonst auch peinlich.
Aber zurück zum Thema. Eine aktuelle Lohntabelle oder gar die Antwort
auf die Frage, ob dieser neue Vertrag nun schon allgemeinverbindlich
ist enthüllt eine Internetrecherche jedenfalls dem Laien auch nach
längerem Suchen nicht. Aber immerhin: "Die Nachwirkung der
Allgemeinverbindlicherklärung besteht für die Außenseiter auch dann
weiter fort, wenn für die durch Mitgliedschaft bei den
Tarifvertragsparteien gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bereits
ein neuer Tarifvertrag abgeschlossen wurde, dieser aber nicht für
allgemeinverbindlich erklärt worden ist." (4) Es sei denn, das ist
schon in der Allgemeinverbindlichkeitserklärung ausgeschlossen, oder in
einer Betriebsvereinbarung oder dem Arbeitsvertrag anders geregelt.
Und wer kontrolliert eigentlich die Einhaltung dieser
Quasi-Mindestlöhne? In der Praxis die PrüferInnen der
Sozialversicherungen. Die berechnen die Sozialversicherungsbeiträge im
Falle eines unterschrittenen allgemeinverbindlichen Lohns anhand des
Tarifvertrags neu (jedenfalls wenn die Unterbezahlung aus den
Abrechnungen oder Stundenzetteln ersichtlich ist) und fordern die
fehlenden Sozialversicherungbeiträge (aber nicht die Auszahlung der
höheren Löhne) ein. Aber bis zu so einer Prüfung können freilich viele
Jahre vergehen, in denen ArbeiterInnen nichts von ihrem "Glück" wissen,
eigentlich mehr verdient haben zu müssen. Und auch §8
Tarifvertragsgesetz erfreut sich sicherlich nicht allgemeiner
Bekanntheit: "Die Arbeitgeber sind verpflichtet, die für ihren Betrieb
maßgebenden Tarifverträge an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen."
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