Ver.dis Intervention im Babylon / Tarifkonflikt im Babylon Mitte wird zum Politikum
Seit Freitag bekennt sich die Berliner Linkspartei
dazu, die Intervention ver.dis im Babylon-Konflikt eingefädelt zu
haben. Nachdem die FAU Proteste bei der von der Linkspartei
veranstalteten „Linken Kinonacht“ angekündigt hatte, wappneten sich die
Veranstalter selbst mit Flugblättern, um dem Protest entgegenzuwirken.
Das Flugblatt trug die Schlagzeile: „Ver.di und Geschäftsleitung des
Babylon verhandeln nach Vermittlung der Linken über Tarifvertrag“,
preist ver.di und deren Tarifverträge in der Kinobranche und bezeichnet
die FAU als irrelevante „Kleinstorganisation“, die „auf Kosten einer
wertvollen Kultureinrichtung“ eine „Imagekampagne“ führen würde. Damit
bestätigten sich die Vermutungen, die die FAU Berlin zuletzt mehrfach
geäußert hatte, dass mit dem ver.di-Eingreifen dem Arbeitskampf der
Wind aus den Segeln und die FAU ausgebootet werden soll (siehe "Offener
Brief an ver.di" auf www.prekba.blogsport.de). Der dahinter zu
vermutende Deal, wie ihn zuletzt feinfühlige Beobachter beschrieben
(siehe http://de.indymedia.org/2009/09/261512.shtml), wird somit immer plausibler.
Offensichtlich
war das wohl schnell entworfene Flugblatt dazu gedacht, den
Protestierenden von der FAU, der ASJ und anderen UnterstützerInnen
wichtige Argumente zu nehmen. Der Schuss ging aber eher nach hinten
los, empfanden viele BesucherInnen dies doch als ziemliche
Dreistigkeit. Aufgebrachte Babylon-Mitarbeiter attackierten verbal die
VerteilerInnen scharf und rissen ihnen gar Flugblätter aus der Hand.
Auch scheint der Linkspartei im Eifer des Gefechts nicht klar gewesen
zu sein, in welche Bredouille sie damit nun ver.di-Verhandlungsführer
Andreas Köhn gebracht hat. Bisher hatte dieser den Vorwurf der FAU,
sich aufgrund politischer Vermittlung in den Konflikt einzumischen,
zurückgewiesen. Zuletzt gab er gegenüber der Labournet-Redaktion auf
Nachfrage an, aktiv geworden zu sein, weil vor zwei Monaten ein ver.di
Mitglied aus dem Betrieb darum gebeten habe, dass ver.di tarifpolitisch
aktiv werde (siehe http://www.labournet.de/branchen/medien-it/babylon.html).
Die Tatsache, auf die einige Babylon-Mitarbeiter, darunter auch ein
ver.di-Mitglied kritisch verwiesen, man hätte schon vor acht Monaten
ver.di diesbezüglich mehrfach aufgefordert, ohne dass ver.di etwas
unternahm, erklärte Köhn zuletzt mit kommunikativen
„Missverständnissen“. In der Betriebsversammlung, die gestern
unmittelbar vor der „Linken Kinonacht“ stattfand, äußerten
FAU-Vertreter gegenüber Köhn erneut ihre Bedenken. Auch hier blieb Köhn
bei seiner Version der Geschichte. Direkt im Anschluss der Versammlung
wurden die Teilnehmenden dann jedoch mit dem Flugblatt der Linkspartei
und damit mit der Wahrheit konfrontiert. Köhn hatte somit die
Betriebsversammlung entweder bewusst angelogen oder zumindest
bestimmte, substantielle Tatsachen bewusst verschwiegen. Die Aussage
Köhns gegenüber Labournet, „Erstaunlicherweise ist ver.di schnell zu
einem Termin mit der Geschäftsleitung gekommen“, wirkt mit den neuen
Informationen regelrecht scheinheilig.
Auch Klaus Lederer,
Vorsitzender der Linkspartei Berlin, äußerte sich zu Beginn seiner
„Diskussion“ mit Gregor Gysi nochmals zum Konflikt. In Anbetracht der
Proteste vor dem Kino sprach er den tariflosen Zustand im Babylon Mitte
an, auf den die FAU mit ihrem Arbeitskampf aufmerksam gemacht habe.
Durch Vermittlung der Linkspartei sei aber nun ver.di tarifpolitisch
aktiv, um eine tarifliche Absicherung für die Beschäftigten zu
erzielen. Damit sollte ausgedrückt werden, dass die FAU Berlin ihre
Arbeit gemacht habe, jetzt solle ver.di übernehmen. In einer späteren
spontanen Diskussion außerhalb des Babylons, in Anwesenheit von ca.
15-20 ZuhörerInnen, bestätigte Lederer diese Botschaft explizit und gab
zu verstehen, dass es ihm ein Anliegen sei, dass nur die
„tarifmächtigen“ DGB-Gewerkschaften Tarifverträge abschließen, um damit
gelben Gewerkschaften keine Vorlage zu geben. Womöglich meint es Klaus
Lederer damit tatsächlich gut, er verkennt damit aber die Situation im
Babylon. Zum einen kann die FAU wohl kaum mit gelben Gewerkschaften
verglichen werden. Zum anderen müsste die logische Konsequenz dieses
Gedankens sein, eher die ver.di-Verhandlungen als die FAU in Frage zu
stellen. Schließlich ist die FAU die mitgliederstärkste Gewerkschaft im
Betrieb und läuft die ver.di-„Initiative“ – jetzt nach fast einem Monat
immer noch! – an den kämpfenden Beschäftigten vorbei, so wie es
eigentlich gelbe Gewerkschaften praktizieren.
Köhn selbst trat
gestern zum ersten Mal wirklich in Erscheinung. Nachdem er bereits in
einem Treffen mit dem Betriebsrat erklärt hatte, dass gemeinsame
Verhandlungen mit der FAU prinzipiell möglich seien, bekundete er
diesmal erneut diese Bereitschaft. Auf Äußerungen der FAU-Vertreter, es
nicht nur bei Willensbekundungen zu belassen, wollte er dennoch nicht
konkreter bezüglich eines gemeinsamen Vorgehens werden, auch nicht,
nachdem die Betriebsversammlung ohne Gegenstimme einen Beschluss
fasste, wonach sie beide Gewerkschaften dazu aufforderte, gemeinsam
eine tarifpolitische Lösung zu erreichen. Köhn erwiderte darauf
lediglich, dass ja der Arbeitgeber womöglich nicht mit der FAU
verhandeln wolle. Zu weiteren konkreten Absprachen vor Ort kam es dann
auch in der Folge nicht, da Köhn vorzeitig und abrupt die Versammlung
verließ.
Die Notwendigkeit, die kämpferische
Gewerkschaftsstruktur der FAU im Betrieb nicht schwächen zu lassen,
zeigt sich nun auf ganzer Breite. Dass ver.di sich politisch zu einem
Eingriff in einen laufenden Arbeitskampf bewegen lässt, erstmal
einvernehmlich Verhandlungen mit den Arbeitgebern einleitet, ohne nur
mit Belegschaft und den eigenen Mitgliedern gesprochen zu haben, und
die Chefs jubilieren lässt, die freudestrahlend die
ver.di-Presseerklärung im Betrieb selbst verteilten (man lasse sich das
mal auf der Zunge zergehen!), ist eine Sache - und nun auch eine
Tatsache, mit der angemessenen umgegangen werden muss. Die andere Sache
ist, dass Andreas Köhn gestern die Möglichkeit hatte, den Bedürfnissen
der kämpferischen Mitarbeiter entgegen zu gehen und die Belegschaft
aktiv einzubeziehen. Stattdessen machte er erneut klar, wie der Hase
laufen wird.
Abgesehen davon, dass er erklärte, der
ver.di-Entwurf werde sich an ihrem Flächentarifvertrag anlehnen und
werde nicht darunter liegen (was eigentlich selbstverständlich sein
sollte), skizzierte er, dass er sich mit der Geschäftsführung treffen
und demnächst die ver.di-Mitglieder darüber „informieren“ werde. Von
konkreter Partizipation weiterhin keine Spur. Angesprochen darauf, wie
es denn mit der Mitsprache beim Tarifabschluss aussehe, wurde auf das
reguläre ver.di-Prozedere verwiesen. Demnach müssten 25% der
ver.di-Mitglieder im Betrieb dem Vertragswerk zustimmen. Bei momentan
(und angeblich) vier Mitgliedern im Betrieb, kann ein einzelner
Mitarbeiter (!) über die Annahme entscheiden. Das ist die organisierte
Entmündigung. Vergleicht man dies mit dem FAU-Vorgehen, bei dem die
Mitarbeit am Vertragsentwurf und an der Formulierung von Forderungen
allen Beschäftigten offen stand (fast alle beteiligten sich an diesem
Prozess), bei dem bisher alles und unverzüglich transparent gemacht
wurde und das vorsieht, dass alle Beschäftigte über den Tarifabschluss
mitbestimmen dürfen, nimmt sich das geradezu despotisch aus. Wem jetzt
noch kein Licht aufgeht, der möge ewig im dunklen Jammertal des DGB
schmoren.
Kein linker Gewerkschafter kann diese Methoden
ernsthaft rechtfertigen, ohne seinen emanzipatorischen Anspruch
aufzugeben. Selbst bürgerliche Demokratievorstellungen sind dann
fortschrittlicher. Es wird sowohl von ver.di als auch den Linken
argumentiert, ver.di habe in der Kinobranche mehrere Tarifverträge
abgeschlossen, die FAU dagegen noch nirgends. Wenn die
ver.di-Eingleisigkeit auf diese Weise fortgesetzt würde, dann wäre das
– um eine Analogie zu ziehen -, als würde die CSU in Bayern den
Anspruch erheben, in München den Bürgermeister zu stellen, weil sie
landesweit die einzige Regierungspartei ist. Und wenn die
Babylon-Geschäftsführung und die Linkspartei behaupten, die FAU sei
nicht tariffähig, weil sie noch keinen Tarifvertrag abgeschlossen habe,
könnte man genauso gut behaupten, man dürfe eine Partei nicht wählen,
die noch nie eine Wahl gewonnen hätte. Rückbezogen auf den
Wirtschaftsbereich heißt das folgerichtig, dass es keine
gewerkschaftliche Freiheit mehr gäbe – ein sanktionierter Stillstand.
Es
ist geradezu ironisch, dass der Konflikt im Babylon wesentlich aus dem
patriarchalischen und entmündigenden Gehabe der Geschäftleitung rührte
und ver.di nun mit ähnlichen Verfahrensweisen aufschlägt. Es zeigt sich
hier die ganze Quintessenz in der Frage unterschiedlicher
Gewerkschaftskonzepte. Wie Gregor Gysi richtigerweise gestern
feststelle, haben wir demokratische Verhältnisse (zumindest bedingt)
nur in der Politik, aber gewiss nicht in der Wirtschaft. Gerade
deswegen ist es unumgänglich, dass die Gewerkschaften, die
wirtschaftlichen Artikulationsformen der Bevölkerung, so demokratisch
und partizipatorisch wie möglich funktionieren. Nur so entsteht eine
ökonomische Emanzipation der Beschäftigten. Die Funktionsweise der
DGB-Gewerkschaften – man sieht es in diesem kleinen Konflikt ganz
deutlich – spiegelt aber zum Großteil nur die Strukturen der Mächtigen
wieder und reproduziert sie somit auch. Soll die chefliche Willkür im
Babylon Mitte eine Ende haben, genügt kein Tarifvertrag, sondern muss
dauerhaft eine kämpferische Struktur der Arbeiterselbstorganisation
gesichert werden.
Spätestens jetzt sollte allen klar sein,
dass im Babylon Mitte an der FAU Berlin und ihrer Betriebsgruppe kein
Weg vorbei gehen darf.

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