Streikrecht für Unorganisierte
Aus gegebenem Anlass hat die FAU-Hannover im Januar eine Neuauflage
ihres „Streikinfos für Unorganisierte“ von 2006 vorbereitet, in dem sie
über die Rechte von streikbereiten Beschäftigten, die in keiner
verhandlungsführenden oder gar keiner Gewerkschaft organisiert sind, im
Arbeitskampf informiert. Diese ist in größerer Auflage erschienen und
kann gegen Selbstkostenpreis (Druck + Versandkosten) bei der
FAU-Hannover bestellt werden. Aktuelle Informationen zum Arbeitskampf
findet Ihr unter: FAU-Hannover
Streikrecht für Unorganisierte
Informationen für Unorganisierte und Gewerkschaftsmitglieder im Öffentlichen Dienst
Herausgegeben von Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes,
organisiert in der Freien Arbeiter- und Arbeiterinnen Union (FAU-IAA),
Lokalföderation Hannover.
Vielerorts herrscht große Verunsicherung darüber, welche Rechte die
Kolleginnen und Kollegen während eines Arbeitskampfes wahrnehmen
können, die sich nicht organisiert bzw. keiner etablierten Gewerkschaft
angeschlossen haben. Oftmals vermitteln uns gerade
Gewerkschaftsfunktionärinnen und Gewerkschaftsfunktionäre, aber auch
Vorgesetzte, den Eindruck, dass uns grundlegende Rechte als
Arbeitnehmer/in erst dann zustehen, wenn wir Mitglied einer dieser
Gewerkschaften sind. Dem ist nicht so!
Wir haben deshalb einmal die Fragen beantwortet, die die Kolleginnen und Kollegen am häufigsten stellen.
Oft herrscht Unsicherheit darüber, wer sich an einem Arbeitskampf beteiligen darf. Wer kann streiken?
Das Streikrecht wird in Deutschland aus Artikel 9 Absatz 3 des
Grundgesetzes hergeleitet. Alle Arbeitnehmer/innen haben das Recht,
sich an einem Streik zu beteiligen. Dabei ist es völlig egal, ob sie
Mitglied der zum Streik aufrufenden Gewerkschaft sind oder nicht. Auch
gewerkschaftlich nicht organisierte Arbeitnehmer/innen können streiken!
Auszubildende und Praktikantinnen und Praktikanten haben ein
Arbeitskampfrecht, wenn es um ihre tariflichen
Beschäftigungsbedingungen geht. Eine Ausnahme bilden lediglich
Beamtinnen und Beamte: Ihnen wird das Streikrecht bisher pauschal
bestritten.
In bestimmten Bereichen des Öffentlichen Dienstes, z.B.
Krankenhäusern, schließen Gewerkschaften so genannte
„Notdienstvereinbarungen“ mit den Arbeitgebern ab, um eine notwendige
Mindestversorgung zu gewährleisten. Um den Umfang dieser Arbeiten
entbrennt im Alltag immer wieder Streit. Was muss beachtet werden?
Abgeschlossene Notdienstvereinbarungen sind öffentlich zugänglich zu
machen; jede Kollegin und jeder Kollege kann sich über Inhalt und
Umfang informieren. Alle, die Notdienst leisten müssen, sollten auf die
Einhaltung des Umfangs der zugesicherten Arbeiten achten. Darüber
hinaus gehende Leistungen müssen nicht erbracht werden! Streikbruch
muss nicht unterstützt werden!
Mancherorts gibt es seitens der Arbeitgeber Versuche, den Streik zu unterlaufen. Ist Streikbrecherarbeit zulässig?
Wird vom Arbeitgeber angeordnet, dass die Arbeiten, die auf einem
bestreikten Arbeiter- oder Angestelltenarbeitsplatz anfallen, von
anderen übernommen werden, handelt es sich um Streikbrechertätigkeit.
Das gleiche gilt, wenn der Arbeitsplatz vorübergehend oder dauernd
anderweitig vergeben wird. Niemand ist verpflichtet,
Streikbrecherarbeiten durchzuführen!
Leiharbeiter/innen: Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer haben in
bestreikten Betrieben der Entleiher (Einsatzbetriebe) ein
Leistungsverweigerungsrecht! Dies ist im
„Arbeitnehmerüberlassungsgesetz“ (AÜG) grundsätzlich geregelt: „Der
Leiharbeitnehmer ist nicht verpflichtet, bei einem Entleiher tätig zu
sein, soweit dieser durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist.
In den Fällen des Arbeitskampfes nach Satz 1 hat der Verleiher den
Leiharbeitnehmer auf das Recht, die Arbeitsleistung zu verweigern,
hinzuweisen.“ (AÜG, §11, Absatz 5) Stellen sie die Arbeit in einem
bestreikten Betrieb ein oder treten sie erst gar nicht an, muss ihr
Arbeitgeber (Verleiher: das Leiharbeitsunternehmen) ihnen den Lohn oder
das Gehalt trotzdem weiter zahlen. Er kann lediglich den Einsatz in
einem anderen, unbestreikten Betrieb anweisen.
ABM-Kräfte und Ein-Euro-Jobber/innen: ABM-Kräfte und Beschäftigte in
Arbeitsgelegenheiten nach Sozialgesetzbuch II (SGB II), so genannte
„Ein-Euro-Jobber“, dürfen nicht zur Streikbrecherarbeit gezwungen
werden. Die Bundesagentur für Arbeit ist wie alle staatlichen
Einrichtungen zur Neutralität im Arbeitskampf verpflichtet. Dagegen
würden die Arbeitsagenturen verstoßen, wenn sie Streikbrecherarbeiten
von ABM-Kräften bzw. Ein-Euro-Jobber/innen anordnen oder finanzieren.
Der Einsatz von Ein-Euro-Jobber/innen ist im SGB II, §16, Absatz 3 in
Verbindung mit SGB III, §261 nach klaren Kriterien geregelt.
Streikbrecherarbeit gehört nicht dazu! Drohungen mit Sanktionen sind
unzulässig!
Beamte: Laut einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2.
März 1993 ist der Einsatz von Beamtinnen und Beamten auf bestreikten
Arbeitsplätzen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern grundsätzlich
nicht zulässig. Dies gilt, solange nichts anderes per Gesetz geregelt
ist. Einer solchen Anweisung des Dienstherrn muss demnach nicht
widerstandslos Folge geleistet werden!
Ich bin nicht Mitglied der zum Streik aufrufenden Gewerkschaft,
beteilige mich aber an der Arbeitskampfmaßnahme mit eigenen
tarifpolitischen Forderungen. Kann die Gewerkschaft mir das verbieten
oder mich vom Streik ausschließen?
Prinzipiell ergeben sich die Rechte und Pflichten der Mitglieder einer
Gewerkschaft (auch im Arbeitskampf) aus ihrer Mitgliedschaft. Diese
gehen aus der jeweiligen Satzung und den dazu erlassenen Richtlinien
hervor. Dazu gehört u.a. die Befolgung der Anweisungen der
Streikleitung. Nichtmitglieder haben gegenüber der Gewerkschaft keine
Pflichten! Ihren Weisungen muss demzufolge nicht Folge geleistet
werden. (Vgl.: Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht Bd.1, 1997, S.
1287). Das Arbeitskampfrecht bleibt gänzlich unberührt; die
Gewerkschaft kann lediglich verlangen, dass man sich aus ihrem
Streiklokal entfernt.
Die zum Streik aufrufenden Gewerkschaften können jedoch aufgrund eines
Notdienstplans einzelne Arbeitnehmer/innen vom Streik ausschließen, sie
also auffordern, die Arbeit im Rahmen des Notdienstes aufzunehmen.
Dieser Notdienstplan ist auch von Nichtmitgliedern zu beachten.
Lehnen Arbeitnehmer/innen ohne triftigen Grund die Durchführung von
Notdienstarbeiten ab, können sie unter Umständen für den hierdurch
entstandenen Schaden vom Arbeitgeber haftbar gemacht werden. Außerdem
besteht die Gefahr, dass der Arbeitgeber die Verweigerung als Anlass
für eine Kündigung nimmt.
Ich bin nicht Mitglied einer Gewerkschaft und erhalte deshalb kein
Streikgeld. Muss ich mich trotzdem in die Streikliste eintragen? Was
wird mir vom Lohn oder Gehalt abgezogen?
Nichtmitglieder müssen sich nicht in die Streiklisten eintragen, da es
sich dabei lediglich um die Geltendmachung von Ansprüchen (Streikgeld)
gegenüber der jeweiligen Gewerkschaft handelt. Anhand der Streiklisten
werden auch Vertretungen für Notdienstarbeiten von der Gewerkschaft
gestellt, falls Kolleginnen und Kollegen unerwartet ausfallen.
Das Entgelt, das der Arbeitgeber pro Streiktag abzieht, lässt sich
leicht errechnen: Grundvergütung durch Anzahl der Arbeitstage des
laufenden Kalendermonats.
Erhält man infolge der Arbeitskampfmaßnahme für mindestens einen vollen
Kalendermonat keinen Lohn bzw. kein Gehalt vom Arbeitgeber, hat das
Auswirkungen auf die Jahressonderleistungen und vermögenswirksamen
Leistungen. Das Weihnachtsgeld reduziert sich anteilig nach
Monatsanteilen. Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen entfallen,
wenn der Streik in den Bezugsmonat für die jeweilige Leistung fällt.
Die Mitgliedschaft in den Sozialversicherungen besteht während des
Ausstands fort. Die Streikenden stehen jedoch während dieser Zeit nicht
unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Kann mir der Arbeitgeber kündigen, wenn ich mich am Arbeitskampf beteilige?
Nein, das Arbeitsverhältnis kann deshalb nicht aufgelöst werden. Die
Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag ruhen jedoch für die Dauer
der Beteiligung am Streik. D.h., Arbeitnehmer/innen sind nicht zur
Arbeitsleistung, Arbeitgeber nicht zur Beschäftigung und zur
Entgeltzahlung verpflichtet. Nach Beendigung der Arbeitskampfmaßnahme
hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.
Ich bin nicht Mitglied einer verhandlungsführenden Gewerkschaft.
Gilt der Tarifabschluss dann trotzdem für mich? Lohnt es sich überhaupt
für mich zu streiken?
Ein Anspruch auf tarifliche Arbeitsbedingungen besteht zunächst nur,
wenn die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer Mitglied der tarifschließenden
Gewerkschaft ist und auch der Arbeitgeber an den Tarifvertrag gebunden
ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Arbeitgeber Mitglied des
Arbeitgeberverbandes ist oder den Tarifvertrag selbst abgeschlossen
hat. Für die anderen Arbeitnehmer/innen gilt der Tarifvertrag allein
dann, wenn in ihren Arbeitsverträgen auf den Tarifvertrag verwiesen
wird. Findet sich keine Verweisung im Arbeitsvertrag, muss der
Arbeitgeber keine tariflichen Arbeitsbedingungen gewähren. Ihr solltet
deshalb unbedingt in Euren Arbeitsvertrag schauen!
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