Vielleicht ist es ja ein subjektiver Eindruck ? aber scheinbar sind in
den letzten anderthalb Jahren so viele Bücher über den Anarchismus
erschienen wie in kürzerer Vergangenheit selten zuvor. Teilweise lässt
sich das mit dem 70jährigen Jubiläum der Spanischen Revolution
erklären, teilweise, wie im Falle des Anarchismus-Bandes in der Reihe
theorie.org von Hans-Jürgen Degen und Jochen Knoblauch, ist es auch
einfach nur Zufall, war das Buch doch bereits seit zwei Jahren
angekündigt. Allerdings geht der Band dieser Tage auch schon in die
zweite, überarbeitete Auflage, das heißt, es verkauft sich scheinbar
für einen kleinen, linken Verlag sehr gut. Und vor einigen Wochen ist
mit Horst Stowassers ?Anarchie!? im Nautilus-Verlag quasi die
Mega-Version dieser Einführung erschienen. Und behält recht:
Stowassers ?Anarchie!? schaffte es direkt auf Platz 1 der Buchtipps
von NDR und Süddeutscher Zeitung im Juni 2007. Darüber hinaus
erschienen 2006 mit Gerhard Senfts ?Essenz der Anarchie? (Promedia)
und kürzlich mit Achim von Borries? und Ingeborg Weber-Brandies?
?Anarchismus ? Theorie, Kritik, Utopie? (Verlag Graswurzelrevolution)
zwei Bände mit historischen Beiträgen von AnarchistInnen. Während
Senft anhand des Oberthemas ?Parlamentarismus? eine neue Sammlung von
Texten herausgab, ist die Textsammlung von Borries und Weber-Brandies
die Neuauflage eines bereits 1968 erschienen Sammelbandes.
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Kollektiv-Genossenschaften als Modell für einen konstruktiven Sozialismus?
Genossenschaften sind historisch gesehen auch Notwehr- und Selbsthilfe-Organisationen gegen die kapitalistische Ausbeutung der Arbeiterklasse.1 Sie waren und sind gleichzeitig eine Perspektive für eine bessere, eine sozialistische Gesellschaft. Hier ein schönes Karl Marx-Zitat, das dies belegt und auf welches die politischen sozialistisch-kommunistischen Parteien heute keinen Bezug mehr nehmen:
„Wir anerkennen die Kooperativbewegung als eine der Triebkräfte zur Umwandlung der gegenwärtigen Gesellschaft, die auf Klassengegensätzen beruht. Ihr großes Verdienst besteht darin, praktisch zu zeigen, daß das bestehende despotische und Armut hervorbringende System der Unterjochung der Arbeit unter das Kapital verdrängt werden kann durch das republikanische und segensreiche System der Assoziation von freien und gleichen Produzenten.“ 2
Für Marx war die Produktiv-Genossenschaftsbewegung also eine weitere ‚Schule des Sozialismus’, gleichberechtigt neben den Gewerkschaften, die er als „unumgänglich für den täglichen Guerillakrieg zwischen Kapital und Arbeit“ 3 ansah.
Da die ‚Schulen des Sozialismus’ als Kampforganisationen gegen den Kapitalismus längst auf dem Misthaufen der sozialistischen Politik gelandet sind, freut es umsomehr, wenn hier über Genossenschaftsmodelle und –ideen referiert werden kann.
Als Anarchosyndikalist bin ich davon überzeugt, daß eine grundlegende soziale Veränderung nur durch die vollständige Überwindung der kapitalistischen wirtschaftlichen Verhältnisse erfolgen kann. Für den rein politischen Kampf haben wir keine Zeit, er kostet zu viel Energien und beschränkt einen mehr oder weniger auf den parlamentarischen Kampf. Da wir eine Überwindung des Kapitalismus wollen, muß dieser an seiner Wurzel zerstört werden und kann nicht durch eine andere Politik im Kapitalismus niedergerungen werden.
In der libertären Arbeiterbewegung und in der anarchosyndikalistischen Organisation FAUD der Weimarer Republik (1918-1933) fand immer auch eine Diskussion über den „Konstruktiven Sozialismus“ statt. Hierbei ging es letztlich um eine Beweisführung anhand von ‚Experimentalsozialismus’, aufzuzeigen, daß Arbeiter Betriebe führen können und deshalb auch eine selbstverwaltete Gesellschaft praktisch möglich sind. Viele Menschen brauchen konkrete Beispiele, um zu verstehen, daß wir als Anarchisten und Anarchosyndikalisten nicht bloß schöne Theoriegebäude zimmern können; die Menschen verlangen handwerkliche und wirtschaftliche Modelle, die eben nicht bloß bei Schönwetter funktionieren.
In der sozialdemokratisch organisierter Arbeiterbewegung war es üblich, nach kollektiven Beschlüssen über die Ausgabe von Anteilsscheinen die Gründung einer Tageszeitung, einer Wohnungsbau-, Konsum- oder auch einer genossenschaftlichen Arbeiterbrauerei zu zeichnen, um das Kapital für so eine Gründung für die Arbeiterbewegung zusammen zu bekommen. Sie planten dabei keine Arbeiterselbstverwaltung, vielmehr übergaben die Arbeiter das gesammelte Geldes ihren Partei- oder Gewerkschaftsfunktionären, die dann damit ihre eigene Stellung in der Hierarchie der Bewegung festigten und ausbauten. Insgesamt funktionierte das in allen Bewegungen der alten Sozialdemokratie: die drei Pfeile symbolisierten vor dem Faschismus den eigentlichen Vierklang dieser Bewegung: Partei – Genossenschaften – Gewerkschaften – (unterschlagen wurde die) Arbeitersportbewegung.
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